Bekleidungshersteller aus Bangladesch: „Dieses Verhalten treibt die Fabriken in einen Todeskampf“

Bekleidungshersteller aus Bangladesch: „Dieses Verhalten treibt die Fabriken in einen Todeskampf“

INTERVIEW Erst auf die
Einhaltung von Sozialstandards pochen und dann Aufträge stornieren und die
Fabriken mit ihren Arbeitern dem Schicksal überlassen. Diese bittere
Erfahrung machen gerade über Tausend Bekleidungsfabriken in Bangladesch mit
ihren westlichen Auftraggebern.

Bezogen auf die Bekleidungsindustrie war Bangladesch in den Augen vieler
Konsumenten bislang das Land von Rana Plaza. Es war das Land, in dem
scheinbar verantwortungslose Fabrikbesitzer und westliche Einkäufer auf dem
Rücken ausgebeuteter Arbeiterinnen und Arbeiter billig produzieren konnten.
Viel Engagement floss in den letzten Jahren in Maßnahmen, um die
Produktionsbedingungen in Bangladesch zu verbessern. Der Weltöffentlichkeit
lag am Wohl der Millionen Menschen, die dort in den Fabriken nähen. Auch
Mostafiz Uddin hat dazu beigetragen, dass sich das Bild von Bangladesch
langsam wandelt und differenzierter betrachtet wird. Er ist selbst ein
Denim-Produzent aus Bangladesch, Gründer der Denim-Messe Bangladesh Denim
Expo und vor allem ein leidenschaftlicher, international angesehener
Kämpfer für mehr Nachhaltigkeit und eine bessere Bekleidungsindustrie.
Seine Bekanntheit hat ihn jedoch nicht davor bewahrt, in der aktuellen
Corona-Krise die gleichen bedrohlichen Erfahrungen zu machen wie viele
andere Fabriken auch. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Herr Mostafiz, wie steht es aktuell um die Bekleidungsindustrie in
Ihrem Land Bangladesch?

Leider schlecht. Infolge der Covid-19-Pandemie stornierten viele Marken
und Einzelhändler Bestellungen, deren Waren schon produziert waren oder
sich im Produktionsstadium befanden. Einige Marken und Einzelhändler
verzögerten die Bezahlung der Waren, die von den Herstellern an sie
geliefert wurden, und andere verlangten willkürliche Rabatte – dieses
Verhalten der Marken und Einzelhändler treibt die Bekleidungsfabriken in
Bangladesch in einen Todeskampf.

Was heißt das konkret? Wie viele Betriebe und Arbeiter sind betroffen?

Nach den Daten des Verbands der Bekleidungshersteller und -exporteure
Bangladeschs (BGMEA) mussten insgesamt 1150 Bekleidungsfabriken des Landes
Aufträge im Wert von 3,18 Milliarden US-Dollar stornieren oder aussetzen,
davon sind rund 2,28 Millionen Beschäftigte betroffen. Als Folge der
Auftragsstornierung oder Suspendierung wurden bisher 100
Bekleidungsfabriken in Bangladesch dauerhaft geschlossen.

Leider hat sich die Situation seit dem Ausbruch der Pandemie in der Welt
im März nicht verbessert. Die Regierung von Bangladesch stellte ein
Konjunkturpaket in Höhe von vier Milliarden Taka (ca. 42 Millionen Euro)
zur Verfügung, aus dem die Fabriken über Banken Kredite mit zwei Prozent
Zinsen in Anspruch nahmen, um die Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter für
die letzten drei Monate auszuzahlen. Da einerseits die Marken und
Einzelhändler immer noch nicht die Bestellungen entgegengenommen oder die
Zahlung freigegeben haben und andererseits keine neuen Aufträge in den
Fabriken eingehen, ist in einer solchen Situation die Existenz von
Zehntausenden von Arbeitern gefährdet. Die Präsidentin der BGMEA äußerte
kürzlich ihre Besorgnis darüber, dass die Fabriken unter diesen Umständen
möglicherweise 50 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter diesen Monat
entlassen müssen.

Bekleidungshersteller aus Bangladesch: „Dieses Verhalten treibt die Fabriken in einen Todeskampf“

Gibt es irgendein soziales Auffangsystem, das die Arbeiterinnen und
Arbeiter unterstützt?

In der Bekleidungsindustrie Bangladeschs sind etwa 4,1 Millionen
Angestellte beschäftigt, darunter etwa 70 Prozent Frauen. Die Beschäftigung
in diesem Sektor hat zur Stärkung der Rolle der Frau und zur Verringerung
der Armut im Land beigetragen. Leider gibt es hier kein Sozialsystem, das
das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter unterstützt, wenn sie ihren
Arbeitsplatz verlieren, noch gibt es weltweit ein Sicherheitsnetz, das die
60 Millionen weltweit beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter in der
Bekleidungsindustrie unterstützt.

Die globale Bekleidungsindustrie stellt einen dynamischen Sektor im
Welthandel dar und bietet armen Ländern eine Möglichkeit für Entwicklung
und Beschäftigung. Aber es gibt kein Sicherheitsnetz für die
Bekleidungsindustrie, es gibt keine globale Rettungsaktion internationaler
Regierungen für unseren Sektor, wie es sie für die Bankinstitute nach dem
Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 gab. Die Auswirkungen der
Engstirnigkeit in der Industrie werden universell sein, und ich muss mit
Bedauern feststellen, dass die schwächsten Mitglieder der
Bekleidungsindustrie – die Arbeiterinnen und Arbeiter, die von ihren
Gehältern abhängig sind um überleben zu können und für ihre unmittelbaren
Angehörigen zu sorgen – am stärksten betroffen sein werden.

Sie sind selbst Denim-Hersteller – wie ist die Situation in Ihrem
Unternehmen? Leidet Ihr Unternehmen unter Stornierungen?

Die Covid-19-Pandemie hat meine Fabrik Denim Expert Limited schwer
getroffen. Die Fabrik musste Aufträge im Wert von etwa 10 Millionen
US-Dollar stornieren bzw. aussetzen, was sie in eine tiefe Krise gestürzt
hat. Die erste, tiefgreifendste Krise ist die Frage, wie die Fabriken die
Löhne ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter bezahlen sollen, wenn Aufträge von
Marken und Einzelhändlern storniert werden? Wenn die Arbeiterinnen und
Arbeiter ihre Löhne nicht zum erwarteten Zeitpunkt erhalten, hat das
direkte Auswirkungen auf den Lebensunterhalt der Bekleidungsarbeiterinnen
und -arbeiter und ihrer unmittelbaren Angehörigen. Obwohl die Fabrik etwa
einen Monat lang geschlossen war, weil sich die Sicherheitsvorkehrungen
gegen die Ausbreitung des COVID-19 ausweiteten, gewährte ich meinen
Arbeitern und Angestellten für die Monate März und April volle Löhne sowie
einen Festbonus für Eid-ul-Fitr (das Fest des Fastenbrechens im
unmittelbaren Anschluss an den Fastenmonat Ramadan), der am 25. Mai
eingehalten wurde. Ich kann meine Arbeiter nicht auf die Straße werfen, da
sie mir am Herzen liegen. Solange ich zwei anständige Mahlzeiten für meine
Familie organisieren kann, werde ich das auch für meine Arbeiterinnen und
Arbeiter tun. Aber ich bin mir auch nicht sicher, wie lange ich überleben
kann!

Was ist die zweite Krise?

Zweitens wirken sich die Stornierungen und Verschiebungen direkt auf den
Cashflow der Fabrik aus, was wiederum die Fähigkeit einschränkt, die
Lieferanten von Stoffen, Zutaten und Rohstoffen zu bezahlen, von denen wir
Materialien bezogen haben um unsere Aufträge produzieren zu können. Und
drittens sperrt die Bank die Konten der Fabrik für die Eröffnung neuer
Kredite, da die vorherigen Kredite aufgrund der Stornierung und
Nichtzahlung von Bestellungen nicht mit der Bank abgerechnet wurden. Wenn
die Fabrik keinen neuen Kredit für Stoffe und andere Rohstoffe bekommt,
wird sie es nicht schaffen, neue Aufträge bei anderen Kunden zu generieren.

Nicht zuletzt haben die Fabriken sogar Mühe, ihre Rechnungen für
Versorgungsleistungen zu bezahlen, was zu Verlegenheit führt und die
Beziehungen zu den betroffenen Behörden verschlechtert.

Sie sind eine bekannte Persönlichkeit in der globalen Denim-Industrie,
hilft das im Moment?

Ich habe versucht, mein Netzwerk beim Ausbruch der Pandemie zu
mobilisieren, um allen klar zu machen, dass während dieser Krise die
Zusammenarbeit und Kooperation zwischen Einkäufern und Herstellern
notwendiger ist als je zuvor, da die Einkäufer von der Pandemie genauso
betroffen sind wie die Hersteller. Durch Gespräche in den globalen Medien,
darunter auch in bei Ihnen, erhob ich auch meine Stimme gegen die
schlechten Einkaufspraktiken der Marken und Einzelhändler, die die
Hersteller in Todesangst versetzen und das Leben und die Existenzgrundlage
von Millionen von Arbeitnehmern gefährden. Die Pandemie hat die Mängel und
die Fragilität des Systems des globalen Bekleidungsgeschäfts offengelegt.
Wenn das System nicht zum Wohle aller geändert wird, kann kein Einzelner
überleben. Insofern hat mir mein Ruf keine Hilfe gebracht.

Bekleidungshersteller aus Bangladesch: „Dieses Verhalten treibt die Fabriken in einen Todeskampf“

Dieselben Marken, die mehr CSR forderten, lehnen es nun ab, zu zahlen.
Was bedeutet das für Ihre Beziehung zu Ihren Kunden?

Eigentlich ist jetzt die Zeit, die Nachhaltigkeit, die wir seit langem
predigen, zu praktizieren. Die Hauptsäule der Nachhaltigkeit sind die
Menschen. Wenn das Leben und der Lebensunterhalt der Menschen nicht
gesichert sind, gibt es keine Bedeutung von Nachhaltigkeit. Es ist wirklich
bedauerlich, dass Marken und Einzelhändler die über Jahre aufgebaute und
gewachsene Beziehung und das Vertrauen beiseitegeschoben haben. Sie haben
jahrelang nicht einmal an die Arbeiter gedacht, die ihnen gedient haben.

Ist es möglich, die westlichen Marken, die nicht bezahlen oder
Bestellungen stornieren, zu verklagen?

Wie ich bereits erwähnt habe, ist das derzeitige System der globalen
Bekleidungsindustrie selbst voller Mängel. Es handelt sich um eine von
Einkäufern dominierte Branche, in der die Hersteller wenig zu sagen haben.
Es handelt sich um eine Industrie, deren Lieferkette, von der Baumwolle bis
zur Fracht, über die ganze Welt verstreut ist. Aber es gibt keine globale
Autorität, bei der jeder Beteiligte der Lieferkette, der geschädigt wurde,
Rechtsmittel einlegen kann. Die westlichen Gerichtshöfe sind für die
Hersteller unbekanntes Terrain. Sie haben weder das Geld noch die
Netzwerke, um im Rechtsstreit gegen die Käufer zu gewinnen.

Werden Sie Ihre Strategie ändern? Was werden Sie in Zukunft anders
machen?

Das in der Bekleidungsindustrie gängige Zahlungssystem erfordert eine
vollständige Überarbeitung, um die Lehren aus dieser Pandemiesituation zu
ziehen. Bisher war es so, dass ein Hersteller auf eine Bestellung eines
Kunden angewiesen war, um einen Auftrag auszuführen. Erst auf der Grundlage
des Kaufvertrags erhält der Hersteller einen Kredit zur Beschaffung der
notwendigen Rohstoffe. Aber die Mängel im Zahlungssystem wurden nach der
Pandemie auf das Schärfste entlarvt, da die Kunden unter Berufung auf die
außergewöhnlichen Umstände Zahlungen zurückhalten oder Bestellungen
stornieren konnten, und die Hersteller ohne die Sicherheit einer
Bankgarantie allein das finanzielle Risiko trugen. Das muss sich ändern.
Das Geschäft zwischen Einkäufern und Herstellern sollte in der Zeit nach
der COVID-Ära über Letter of Credits abgewickelt werden. Dieses System
bietet über die Garantie einer Bank den Herstellern insofern eine gewisse
finanzielle Sicherheit, als ihnen die Zahlung garantiert wird, wenn die
produzierten Waren den Anforderungen der Kunden entsprechen.

Foto: Mostafiz Uddin / Denim Expert

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