Ohne mehr Digitalisierung wird die Modebranche nicht aus der
Corona-Krise kommen. Der Modehandel und die Marken müssen enger digital
vernetzt zusammenarbeiten, gleichzeitig müssen Händler ihr
Omnichannel-Angebot ausbauen. Das ist das Fazit des BTE-Kongress 2020 am 18. Juni, bei dem die
Geschäftsführer von Marc-O’Polo, Joost Modehäuser und Hachmeister & Partner
über die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie sprachen.
Weniger Umsätze zwingt zu besserer Zusammenarbeit
“Die Bilanz wird in diesem Jahr blutrot sein bei vielen
Handelsunternehmen”, sagte Klaus Harnack, Geschäftsführer von der
Unternehmensberatung Hachmeister + Partner. “Diese Situation werden die
Unternehmen nicht viele Jahre durchhalten können.”
Für das gesamte Jahr 2020 rechnet er mit einem Umsatzrückgang von 25
Prozent.
Der Ausbruch der Coronavirus hat die deutsche Modebranche ungleich
getroffen, wie die von Hachmeister + Partner erfassten Absatzzahlen für Mai
zeigen. Während der Umsatz für Damen-, Herren-, und Kinderbekleidung
insgesamt um 36 Prozent gegenüber Vorjahr gefallen ist, sind Bereiche wie
das trendoriente Young-Fashion-Segment nur um 15,2 Prozent bei den Frauen
und 18,9 Prozent bei den Männern gefallen. Am stärksten gingen die Erlöse bei
anlassbezogener Kleidung zurück – im Bereich Herren Business um ganze 65,4
Prozent im Mai. Am wenigsten betroffen war Kinderbekleidung, die Umsätze
sanken hier nur 0,8 Prozent im vergangenen Monat.
Der durch die Corona-Pandemie verschärfte Umsatzdruck zwingt den
Modehandel und die Marken jetzt dazu effizienter zusammenzuarbeiten, denn durch das Verschieben von Risiken gewinnt am Ende keiner. In der
Phase der Restrukturierung ab 2021, die auf die Phase des Brandlöschens
2020 folgt, müssen Unternehmen lernen “Organisations- und Prozessstrukturen
auf Basis von 80- bis 90-prozentigen Umsatzniveaus“ zu fahren, sagte
Harnack. “Wir werden neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Industrie und
Handel brauchen und dort nicht nur vertikal, sondern auch ernst machen
müssen.” Dazu gehörten kollaborative Planung, die Arbeit an den Beständen
mit einer digitalen Vernetzung und Zugriff auf die gleichen Daten, wie
Lagerkapazitäten, und Innovationen auf der letzten Meile der Logistik.
Digitales Vernetzen von Industrie und Handel
Top-Manager aus Handel und Industrie nannten „weitere
Digitalisierungsmaßnahmen“ und “Ausbau der digitalen Order” unter den vier wichtigsten,
längerfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie, zeigte eine Studie von
von Hachmeister + Partner. Diese Themen wurden gefolgt von Änderungen im Saison-Rhythmus, Schärfung
des Sortiments und Personalreduktion.
Die Einsichten der Studie spiegelten sich auch in den Aussagen von
Maximillian Böck, dem Co-Geschäftsführer von Marc O’Polo. “Wir haben unsere
digitalen Ordertools ausgeweitet, beziehungsweise stark etabliert. Wir haben
die ganze Order digital verkauft. Das hat sehr gut funktioniert. Da werden
wir in Zukunft noch weiter investieren”, sagte er beim BTE-Kongress. “Da
sehen wir zwar keine riesigen Umsatzchancen, aber die Möglichkeit schneller
zu sein, in kürzerer Zeit mehr Einkäufer zu erreichen und auch irgendwann
Kosten zu sparen: Showroom-Kosten, Musterkosten etc.” Der Stephanskircher
Bekleidungskonzern will auch weiter in Logistik, Schnelligkeit,
Re-Order-Algorithmen für ein reibungsloses Nachlieferprogramm investieren,
sagte Böck.
“Das Geschäftsmodell Multibrand ist in existenzieller Gefahr,“
sagte Steffen
Jost beim BTE-Kongress. Der Geschäftsführer der Modehäuser Jost und
BTE-Präsident hofft, dass alle technischen Möglichkeiten jetzt eingesetzt
werden, um die Prozesskette zwischen Modemarken und -handel zu verbessern.
Die digitale Order sei ein wesentliches Element, wie auch Künstliche
Intelligenz um Produktivität und Wertschöpfung zu verbessern. “Wir müssen
die Neuausrichtung des Gesamtmarktes zwischen Handel und Industrie jetzt
angehen. Es ist vielleicht unsere letzte Chance, wenn ein nennenswerter
Multilabel-Handel noch bestehen soll.”
Omnichannel wird Muss
Kaum ein anderes Ereignis hat die Notwendigkeit eines oder mehrer
Onlinekanäle so sehr verdeutlicht wie die Ladenschließungen während der
Covid-19-Epidemie. Viele Modehändler haben gemerkt, dass ein Onlineshop
oder auch eine Kundenapp nicht nur ein schönes Extra sind, sondern
überlebensnotwendig. “Ohne online wird es in Zukunft nicht gehen auf Seiten
des Handels […], die Kanäle werden weiter verschmelzen”, sagte Harnack am
Donnerstag.
“Immer mehr Einzelhändler haben jetzt in der Corona-Zeit gemerkt, dass
sie eine Hybrid-Strategie fahren”, sagte Dominik Benner, Geschäftsführer
von Outfits24 und Schuh Benner. Neben dem Aufbau eines eigenen Onlineshops verkaufen
manche Modehändler auch über Marktplätze. Benner beobachtet über seine
Plattformen, dass immer ältere Kunden erstmals online einkaufen, auch
der Telefonverkauf habe zugenommen. Dieser Trend könnte anhalten, glaubt
er. “Heute muss man online aktiv sein, um den fehlenden Umsatz, der durch
sinkende Frequenzen ensteht, zu kompensieren.”
“Heute gehört das alles zusammen”, sagt Marcus Vorwohlt, Geschäftsführer
von Modehaus Rübsamen in Augsburg über die Verschmelzung zwischen online
und stationär einkaufen. Die Auszubildenen in seinem Modehaus lernen sowohl
im Geschäft wie auch online zu arbeiten. “Eigentlich wird es irgendwann
kein E-Commerce mehr geben, sondern es wird so sein, dass von einem
Mitarbeiter von uns verlangt wird, dass er alle Kunden mitnimmt”, erklärt
Vorwohlt. Es werde keinen Unterschied mehr machen, ob die Kunden, durch
das Geschäft reinkommen oder über das Telefonkabel, ob das unser Onlineshop
oder Plattform ist. “Das ist auch eine Chance, weil es unser ganzes
Arbeiten viel spannender und attraktiver macht”, sagte er. Vorwohlt
erwartet, dass nicht alle Kunden, die während der Pandemie online
eingekauft haben, es weiterhin bei Amazon oder Zalando tun wollen. Einige
könnten gerade das Angebot eines lokalen Händlers schätzen, bei dem er
sowohl im Laden als auch online einkaufen kann. “Der Kunde wird es selber
entscheiden, aber es ist bei allen Kunden angekommen.“
Kundenbindung digital
Unternehmen, die eine enge Bindung zum Kunden haben, sind die Gewinner
der letzten Wochen, sagte Klaus Harnack, Geschäftsführer von Hachmeister +
Partner: “Das Thema Kundennähe, Kundendaten, hohe Kundenbindung ist
eigentlich der zentrale Erfolgsfaktor, verbunden mit einer sehr
persönlichen Kundenansprache. Unternehmen, die das beherrschen, erholen
sich spürbar schneller.” Modehändler haben diese Wichtigkeit bemerkt und
nannten den Ausbau des Kundenbeziehungsmanagement an Platz Zwei, als sie
von der Unternehmensberatung nach den langfristigen Auswirkungen von
Covid-19 gefragt wurden. Ein Beispielswerkzeug, wie Kundenbeziehungen auch
bei geschlossenen Läden aufrechterhalten werden kann, ist die Kundenapp.
Eine Kundenapp kann den Kontakt zu Kunden ungemein erleichtern, zeigen
Händler-Beispiele von Andreas Unger. Seine Werbeagentur Hutter & Unger betreibt
80 Apps für Einzelhändler. Über die App verfügen Modeändler nicht nur über
Kundendaten, sondern konnten auch schnell und einfach mit den Kunden
kommunizieren ‒ wie beispielsweise als Events während der Covid-19-Pandemie
ausfielen oder um Einkaufsgutscheine zur Wiederöffnung der Läden
anzubieten.
Die Verbindung von Kundendaten und persönlichem Kontakt wird in Zukunft immer wichtiger. “Der Handel braucht dieses
perfekte Informationsmodell von seinen Kunden, verbunden mit seinem
persönlichen Kontakt”, sagt Harnack. Die Digitalisierung des ‘Point of
Sale’ werde weiter voranschreiten ‒ mit Terminbuchungen mit Stammverkäufern
im Restaurant des Unternehmens mit Beratung zum Beispiel;
Kundeninformationen wie Kaufdaten und -verhalten müssen stärker vernetzt werden.
Was ist nun das ‘New Normal’? Dazu gehören datenbasierte
Prognosemodelle, die digitale Order, der neue Standard Nachhaltigkeit; es geht um ‘Consumer Insights’ anstatt warenwirtschaftlicher
Informationen, fasst Klaus Harnack von Hachmeister + Partner zusammen. “Das
Kernthema ist die wirklich konsequente, gemeinsame Digitalisierung der
Wertkette im Sinne von Demand und Supply.”
Bild: Vincenzo Pinto / AFP