AKTUALISIERT
Große Unternehmen in Deutschland könnten
künftig per Gesetz zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards
verpflichtet werden. „Wir dürfen schwerwiegende
Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten nicht
ignorieren“, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am
Mittwoch bei einem gemeinsamen Termin mit Arbeitsminister Hubertus
Heil (SPD). Die Minister kündigten an, Eckpunkte für eine gesetzliche
Regelungen erarbeiten und sich im Kabinett auf ein gemeinsames
Verständnis einigen zu wollen.
Heil und Müller begründeten ihren Vorstoß unter Bezug auf
Antworten von Unternehmen auf eine Umfrage. Nur 20 Prozent erfüllten
die Mindeststandards in Lieferketten, hieß es. „Das Ergebnis zeigt
eindeutig, Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, sagte Müller.
Unternehmen müssten verbindlicher als bisher dazu aufgefordert
werden, Menschenrechte zu achten.
Insgesamt seien 3000 Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern
kontaktiert worden. Nur 464 hätten eine freiwillige
Selbsteinschätzung abgegeben. Heil hatte bereits zu Beginn der Woche
einen Vorstoß angekündigt, um Unternehmen zur Einhaltung sozialer
Standards in ihren internationalen Lieferketten zu verpflichten.
Lieferkettengesetz soll für Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern gelten
Bevor das Gesetzgebungsverfahren starte, wolle man die Ergebnisse
einer zweiten Umfrage abwarten. Zeige die keinen grundlegenden
Trendwandel, führe an einer gesetzlichen Regelung nichts vorbei. In
einem zweiten Schritt gehe es dann um Regelungen auf europäischer
Ebene. Heil will das Thema Lieferketten bei der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 auf die Agenda
bringen.
Ein solches Gesetz soll nach den Vorstellungen der Minister für
Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern gelten. Zu Beginn sollten
Mechanismen etabliert werden, die die Einhaltung von
Menschenrechtsverpflichtung garantieren und überwachen könnten. Das
Gesetz solle sich an Leitlinien der Vereinten Nationen und der OECD
orientieren. Heil kündigte ein „Gesetz mit Augenmaß“ an, das kein
Unternehmen überfordere.
An Kinderarbeit und Hungerlöhnen am Beginn von Lieferketten im
Ausland wird seit Jahren Kritik laut, zum Beispiel in Textilfabriken
in Bangladesch. Ein 2016 von der Bundesregierung beschlossener
Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte fordert von
Unternehmen eine menschenrechtliche Sorgfalt in internationalen
Lieferketten – zunächst auf Basis freiwilliger Selbstverpflichtungen.
Kritik aus der Industrie
Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD dann vereinbart,
„gesetzlich tätig zu werden“, wenn bis 2020 nicht mindestens die
Hälfte der großen Unternehmen freiwillig auf die Einhaltung von
Menschenrechten achtet. Zwischen Juli und Ende Oktober hatte die
Bundesregierung Unternehmen zu dem Thema befragt.
Kritik an dem Vorstoß der Minister kam von Seiten des
Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Hauptgeschäftsführer
Stefan Mair forderte die Bundesregierung auf, „von unausgegorenen
Vorschlägen ohne empirische Grundlage“ abzusehen und die Ergebnisse
im Sommer 2020 abzuwarten. „Erst auf dieser Grundlage kann die
Politik beurteilen, welche Schritte die Unternehmen ergreifen
müssen.“ Heil sagte, er gehe nicht davon aus, dass die zweite Umfrage
einen anderen Trend zeigen werde.
Auf positive Resonanz stieß der Vorschlag bei den Grünen. „Ein
Gesetz zum Schutz von Mensch und Umwelt in globalen Lieferketten ist
längst überfällig“, teilte Uwe Kekeritz, Sprecher für
Entwicklungspolitik der Grünen-Fraktion, mit. Das Ergebnis der
Umfrage nannte er einen Offenbarungseid. Müller und Heil müssten nun
im Kabinett ihre Durchsetzungskraft beweisen. (dpa)