Das Gesicht von 1966: Twiggy wird 70

Sie hat eines der bekanntesten Gesichter der Welt und war das erste
Supermodel der 60er Jahre. Später eroberte sie Bühne und Leinwand und
inspiriert seit über einem halben Jahrhundert junge wie alte
Modefans. Nun wird die Stilikone Twiggy 70.

Androgyner Kurzhaarschnitt, große Augen unter langen
Wimpern und eine spindeldürre Figur: Twiggy verkörperte die Swinging
Sixties in London. Jahrzehnte später, Anfang dieses Jahres, ehrte die
Queen das weltbekannte Supermodel für seine Verdienste um Mode,
Künste und Wohltätigkeit als «Dame Commander of the Order».

Eigentlich müsste man sie also ganz korrekt mit Dame Lesley
ansprechen, doch im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur besteht
die Modeikone auf Twiggy. Freunde nannten sie als Teenager scherzhaft
«Ästchen» – Twiggy -, weil sie sehr dünne Beine hatte. Der Name blieb
hängen. Nun feiert Dame Lesley Lawson an diesem Donnerstag (19.
September) ihren 70. Geburtstag bei einem privaten Abendessen mit
Familie und Freunden.

Twiggy wuchs als jüngste Tochter in einer Londoner Arbeiterfamilie
auf. Der Vater arbeitete als Zimmermann in Filmstudios, die Mutter
nähte alle Klamotten selbst. Twiggy jobbte mit 16 im Friseursalon und
träumte von einem Modestudium an der Kunstakademie. «Ich war ein
Mod», erzählt sie stolz über ihre Jugend. Die britische Mod-Szene
entstand als Rebellion der Arbeiterklasse gegen Autoritäten Ende der
50er Jahre. Twiggy hing mit Rockern herum, trug wochentags
Schuluniform und ging samstags bis halb elf mit ihren Freundinnen
aus. Länger erlaubte ihr Vater nicht.

Ein Haarschnitt, der das Leben verändert

Doch all das änderte sich rasant, als ihr ein Edelfriseur den
bekannten markanten Haarschnitt verpasste und ihr Foto im Salon
aushing. Eine Redakteurin der «Daily Mail» erklärte die 16-Jährige
kurzerhand zum «Gesicht von 1966». «In diesem Moment veränderte sich
mein Leben offensichtlich für immer», sagt Twiggy im dpa-Interview.

Paris, New York, Japan. Über Nacht wurde das Mädchen aus der
Arbeiterfamilie zum Weltstar. Die einflussreiche Chefredakteurin der
amerikanischen «Vogue», Diana Vreeland, nahm sie unter ihre Fittiche
und ebnete ihr den Weg mit Modeshootings und Titelseiten. Twiggy
erinnert sich an ihren Empfang in New York, drei Jahre nachdem mit
den Beatles die «British Invasion», also der Erfolg britischer Bands
in den USA, begonnen hatte. «Die ganze Presse war da und es gab
Mädchen mit Transparenten, die sagten: Welcome Twiggy! Und so wurde
ich vom Model zu einer globalen Persönlichkeit.»

Ihr Foto wurde sogar in eine Zeitkapsel eingeschlossen und in den
Weltraum geschickt. Das junge Model traf auch Avantgardisten wie Andy
Warhol: «Er hat mich eigentlich zu Tode erschreckt, er war so
sonderbar. Ich war nur ein nettes kleines Kind, nicht sehr
raffiniert. Ich hatte noch nie solche Leute getroffen.» Dann gaben
Sonny und Cher ihr zu Ehren eine Party in Los Angeles, mit Filmstars
wie Steve McQueen. «Es war übergeschnappt. Es war verrückt», so
Twiggy heute.

Ihr Vater stellte sicher, dass seine Teenager-Tochter bei den
Fotoaufnahmen niemals allein war, um sexuelle Belästigungen zu
vermeiden. «Ich hatte keine Leibwächter, aber mein erster Freund war
wirklich ein Schutz. Bei jedem Modeshooting war jemand da oder eine
meiner Schwestern kam mit.»

Über Umwege kam sie schließlich doch noch zum Modedesign und entwarf
Jahre später Kollektionen für die britische Kaufhauskette Marks &
Spencer und den amerikanischen Sender Home Shopping Network (HSN).

„Ich habe nicht den Ehrgeiz, berühmt zu sein“

Aber zunächst gab ihr Ken Russell eine Chance in seinem Film «The Boy
Friend». «Ich war sehr nervös. Aber man kann alles lernen, und ich
hatte einen wunderbaren Lehrer in Ken. Er hat mir die Tür in eine
neue Welt geöffnet», berichtet sie. Und auch damit hatte Twiggy
gleich Erfolg: Für die Rolle bekam sie zwei Golden Globe Awards.

Dann bekam sie einen Plattenvertrag, ging nach New York und eroberte
den Broadway 1983 mit dem Musical «My One And Only». «Ich konnte
viele, viele Nächte nicht einschlafen, weil ich dachte, ich kann das
nicht. Aber du weißt, du musst über diese Ängste hinwegkommen und
musst dich ihnen stellen.» Twiggy wurde für den Tony Award nominiert
und nennt die achtzehnmonatige Laufzeit am Broadway heute das
«Highlight» ihrer Karriere.

Immer versuchte sie, ihr Privatleben zu schützen: «Mit 16 Jahren
wurde ich weltberühmt. Daran kann ich nichts ändern. Aber ich habe
die Entscheidung getroffen, dass ich einen möglichst normalen
Lebensstil haben möchte.» Vor allem wollte sie ihre Tochter schützen.
«Wir alle haben die Tragödien gesehen, die mit Ruhm einhergehen
können. Es kann wunderbar sein, aber es kann auch sehr, sehr
destruktiv sein», sagt Twiggy.

Die ehemalige Jurorin für die Show «America’s Next Top Model» schwört
auf Pilates, um fit zu bleiben. Sie kann sich schon lange aussuchen,
was sie macht, wenn sie nicht gerade die Zeit mit ihrer vierjährigen
Enkelin genießt. Twiggy arbeitet unter anderem an einem Film- und
einem Fernsehprojekt und stellt derzeit ein neues Album zusammen.

«Ich habe nicht den Ehrgeiz, berühmt zu sein, weil mir das vor langer
Zeit passiert ist. Ich liebe es, zu Hause zu sein. Ich liebe es, zu
kochen. Ich liebe es, zu lesen.» Und natürlich arbeitet sie weiterhin
als Model. «In der Vergangenheit sind ältere Frauen im Hintergrund
verschwunden, und jetzt gibt es so viele großartige Frauen über 50
und über 60 – wenn ich sie inspirieren kann, finde ich das
fabelhaft.»

Bild: © Collection Roger-Viollet / Roger-Viollet

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