Einwöchige Verhandlungen über einen
Handelspakt mit Großbritannien nach dem Brexit haben aus Sicht der
Europäischen Union kaum Fortschritte gebracht. „Ich bedaure das, und
es beunruhigt mich“, sagte EU-Unterhändler Michel Barnier am Freitag
nach den Video-Gesprächen mit britischen Unterhändlern. Das Ziel
eines Abkommens bis zum Jahresende sei immer noch erreichbar, aber
nur mit politischem Willen beider Seiten.
Großbritannien hat die EU am 31. Januar verlassen. Bis Ende 2020
gilt eine Übergangsphase, so dass sich im Alltag kaum etwas verändert
hat. Großbritannien gehört nach wie vor zum EU-Binnenmarkt und zur
Zollunion, hält sich an EU-Regeln und zahlt in den EU-Haushalt. Der
„wirtschaftliche Brexit“ komme erst zum Jahresende, sagte Barnier.
Nötig sei eine intelligente Lösung, um nach der Corona-Krise einen
neuen negativen Schock für Wirtschaft und Verbraucher zu vermeiden.
Von Großbritannien gab es zunächst keine Bewertung der
Verhandlungsrunde, doch Barnier zog eine düstere Bilanz. Das von
beiden Seiten gesetzte Ziel, bis Juni entscheidende Fortschritte zu
machen, sei „am Ende dieser Woche nur sehr partiell erreicht worden“,
sagte Barnier. Großbritannien wolle sich auf einige für die EU
wichtige Themen nicht einlassen, lehne aber gleichzeitig die
Verlängerung der Übergangsphase weiter ab.
Enttäuschend nannte Barnier vor allem die Verhandlungen über
faire Wettbewerbsbedingungen, das sogenannte Level Playing Field. Die
EU will Zusagen für eine weitgehende Angleichung von Umwelt-, Sozial-
und Subventionsregeln auf beiden Seiten, damit Großbritannien seiner
Wirtschaft keine unfairen Vorteile verschaffen könnte. Im Gegenzug
verspricht die EU Warenhandel ganz ohne Zölle und Mengenbegrenzungen.
„Diese Woche hat sich Großbritannien da nicht substanziell
eingebracht“, sagte Barnier. Ohne „Level Playing Field“ werde es aber
kein ehrgeiziges Handelsabkommen geben.
Als weitere Knackpunkte nannte Barnier die Festschreibung
gemeinsamer Standards bei Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit,
Klimaschutz, Datenschutz, wie sie für die EU bei allen
internationalen Abkommen üblich seien. Bei dem für die EU wichtigen
Thema Fischerei habe es überhaupt keinen Fortschritt gegeben. Aus
EU-Kreisen hieß es, Großbritannien wolle nur über Themen in seinem
Interesse verhandeln, bei den übrigen hörten die britischen
Unterhändler nur höflich zu. Die EU wolle jedoch bis Juni
Fortschritte bei allen relevanten Fragen. Bis dahin sind zwei weitere
Verhandlungsrunden geplant.
Juni ist deshalb von Bedeutung, weil dann die Option zur
Verlängerung der Verhandlungsfrist ausläuft. Im Austrittsvertrag ist
geregelt, dass die Übergangsphase einmalig um ein oder zwei Jahre
verlängert werden kann. Der britische Premierminister Boris Johnson
lehnt dies kategorisch ab, weil er sein Land so rasch wie möglich von
EU-Regeln und Beitragszahlungen befreien will. Die EU sei hingegen
offen für eine Verlängerung, sagte Barnier.
Der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, David McAllister, sagte
der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist bedauerlich, dass in dieser
Verhandlungsrunde keine konkreten Ergebnisse erzielt werden konnten.“
Das müsse nun zügig geschehen. „Der Juni wird entscheidend sein, um
den bisherigen Stand der Verhandlungen im Detail zu bewerten und um
sich gegebenenfalls auf eine Verlängerung der Übergangsphase über den
31. Dezember 2020 hinaus zu verständigen. “
Die Verhandlungen hatten im März begonnen. Kurz darauf machte
Barnier eine Infektion mit dem Coronavirus bekannt, und auch sein
britischer Kollege David Frost begab sich in Quarantäne. (dpa)