Die zunehmenden und technisch immer
aufwendigeren Aktivitäten der Fälschungsmafia verursachen nicht nur
Staaten und Firmen einen wirtschaftlichen Milliardenschaden – nach
dem jüngsten Bericht der zuständigen EU-Behörde stellen sie auch ein
enormes Sicherheitsrisiko dar. „Wie unsere gemeinsame Arbeit mit
Europol zeigt, können die Erlöse aus Fälschungen auch die schwere
organisierte Kriminalität wie etwa den Drogenhadel unterstützen“ –
und Terrorismus finanzieren, warnt am Mittwoch der Exekutivdirektor
des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO),
Christian Archambeau. Die EU-Agentur mit Sitz im ostspanischen
Alicante veröffentlichte ihren Status-Bericht 2020.
Wie groß das Problem ist, macht ein Blick auf einige Zahlen des
Reports deutlich. Nach Schätzungen von EUIPO entgehen den Staaten der
EU wegen der vielen Fälschungen Steuereinnahmen in Höhe von insgesamt
15 Milliarden Euro pro Jahr. Geld, das dann etwa für Soziales und
Gesundheit fehlt. Die Fälscher verursachen allein in den vier
besonders betroffenen Branchen Kosmetik und Körperpflege, Weine und
Spirituosen, pharmazeutische Erzeugnisse sowie Spielwaren und Spiele
jährliche Umsatzeinbußen von bis zu 19 Milliarden Euro.
In Deutschland verlieren diese vier Branchen den Untersuchungen
zufolge 2,3 Milliarden Euro pro Jahr. Das EUIPO beklagt, dass die
Situation immer schlimmer werde. Seit der Analyse im vergangenen Jahr
hätten die Umsatzeinbußen in der Kosmetik- und Körperpflegebranche um
mehr als 2,5 Milliarden auf 9,6 Milliarden Euro zugenommen, hieß es.
Diese Summe entspreche 14,1 Prozent des Gesamtumsatzes des Sektors in
der EU.
Aber es geht nicht nur um Geld. EUIPO weist in seinem Bericht
auch auf Gesundheitsrisiken hin, die die Fälschungen vor allem von
Medikamenten, Kosmetika und gefährlichen Spielzeugen bergen. Im Zuge
des Ausbruchs der Corona-Pandemie hätten sich Verbrecher verstärkt
der Fälschung von Testkits und Schutzausrüstung fragwürdiger Qualität
zugewandt. Sie hätten sogar gefälschte Arzneimittel in Umlauf
gebracht, die angeblich gegen Covid-19 helfen sollen – obwohl es
bisher immer noch kein wirksames Medikament zur Behandlung der
Krankheit gibt.
Bei nicht weniger als 97 Prozent der an den EU-Außengrenzen
sichergestellten und als gefährlich eingestuften Fälschungen seien
„ernsthafte Risiken“ festgestellt worden. Es habe sich darunter nicht
nur um Medikamente oder Kosmetika gehandelt, sondern unter anderem
auch um Spielzeug, Babyartikel oder Kinderbekleidung.
Viele Konsumenten machen sich beim Kauf eines gefälschten
Produkts nicht allzu viele Gedanken – seien es Appetitzügler oder das
Potenzmittel Viagra im Internet oder eine Handtasche, Turnschuhe oder
ein Lippenstift auf der Strandpromenade des Urlaubsorts. Man bekommt
die Imitate, die dem Original oft täuschend ähnlich sehen, für wenig
Geld. Und auch Hersteller und Händler verdienen etwas.
Archambeau kritisiert diese Sichtweise: „Fälschungen sind keine
opferlosen Straftaten.“ Neben den genannten Einbußen und den
Gesundheitsrisiken werden Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet.
Nach der Schätzung der Experten in Alicante sind das mindestens 671
000 in der EU.
„Um dem umfassend entgegenzuwirken, bedarf es abgestimmter
internationaler Maßnahmen auf allen Ebenen“, meint Archambeau.
Ähnliche Appelle wurden am Mittwoch nach Veröffentlichung des
Berichts auch in Deutschland laut. „Der Kampf gegen Produkt- und
Markenpiraterie muss angesichts des Bedrohungspotenzials einen
höheren Stellenwert bekommen. Dazu gehören auch ausreichende
Ressourcen für die Verfolgung dieser Art der Kriminalität“, forderte
Volker Bartels, Vorstandsvorsitzender des Aktionskreises gegen
Produkt- und Markenpiraterie (APM).
Der branchenübergreifende Verband, der sich seit 1997 für den
Schutz geistigen Eigentums einsetzt, klagt, dass die Aktivitäten der
Fälschungsmafia ein „alarmierendes Ausmaß“ erreicht hätten. Fast
sieben Prozent der in die EU importierten Waren seien inzwischen
Fälschungen. „Im Vergleich zu anderen Kriminalitätsbereichen stehen
hier sehr hohe Gewinnspannen einem vergleichsweise geringen
Verfolgungsrisiko gegenüber“, heißt es.
Wer denkt, dass Corona und Kontaktbeschränkungen dieser Tage dem
illegalen Business schaden, irrt laut APM. Zahlen der deutschen
Zollstatistik belegten, dass der Onlinehandel für den Vertrieb von
Plagiaten eine immer wichtigere Rolle spiele: Mehr als 80 Prozent der
Fälschungen seien 2019 im Postsendungen entdeckt worden. „Im Internet
erreicht man einfach und ohne größere Kontrollen Millionen von
potenziellen Abnehmern, kriminelle Elemente nutzen diese Tatsache
schamlos aus“, heißt es. Die Handelsplattformen müssten dagegen „noch
viel mehr tun“. (dpa)
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