Die europäische Textilindustrie muss weniger Abfälle produzieren und
mehr recyceln, denn die Europäische Kommission hat den Sektor in ihrer
Industriestrategie zur Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft
hervorgehoben. Damit könnten bisher freiwillige grüne Initiativen der
Industrie in Zukunft gesetzlich verpflichtend werden.
In ihrem Plan für einen europäischen Green Deal hat die Kommission ein
breites Spektrum an Maßnahmen für ressourcenintensive Sektoren – von der
Bauwirtschaft bis zur Textilindustrie – vorgestellt. Sie alle zielen darauf
ab, die Industrien an dem Ziel auszurichten, dass die Europäische Union bis 2050 der erste
klimaneutrale Staatenverbund wird.
Die Kommission möchte die Verantwortung der Textilunternehmen ausweiten
und sie dazu bringen, wiederverwendbare, langlebige und reparierbare
Produkte anzubieten, wie es in dem am Mittwoch veröffentlichten Green
Deal-Plan heißt. Abfälle müssen reduziert und dort, wo sie nicht vermieden
werden können, recycelt werden. Die EU will außerdem ‘Green Washing’
bekämpfen und Verbrauchern dabei helfen nachhaltigere Kaufentscheidungen zu
treffen.
Erster klimaneutraler Staatenblock
„Unser Ziel ist es, die Wirtschaft mit unserem Planeten in Einklang zu
bringen, die Art und Weise, wie wir produzieren und wie wir konsumieren“,
sagte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, am
Mittwoch. „Ich glaube, dass das alte Wachstumsmodell, das auf fossilen
Brennstoffen und Umweltverschmutzung basiert, veraltet ist.“
Die Europäische Union ist bestrebt, im Zuge des von der neuen Kommission
vorgelegten Green Deals eine weltweit führende Rolle in der
Kreislaufwirtschaft einzunehmen. Im Rahmen des Plans will die EU bis 2050
klimaneutral sein, indem sie ihre Industrien mit Hilfe der Digitalisierung
umweltfreundlicher ausrichtet.
Der Plan der EU ist ehrgeizig, aber „die eigentliche Frage ist, wie er
umgesetzt wird“, sagte Mauro Scalia, Director Sustainable Business beim
Brüsseler Textilverband Euratex, telefonisch. „Das eine ist das
Diskusstieren über Ambitionen für eine Null-Emissions-Strategie, das andere
ist zu sehen, wie das im realen Gesetzgebungsprozess angegangen wird, ob es
weiche Richtlinien oder strikte Regelungen geben wird.“
Kreislauffähige Produkte und Geschäftsmodelle
Eine Richtlinie für nachhaltige Produkte soll zirkuläres Design mit
einheitlichen Methoden und Prinzipien unterstützen, so die EU. Abfall soll
durch Reduzierung und Wiederverwendung von Materialien vermieden werde;
Unternehmen werden dazu ermutigt, wiederverwendbare, langlebige und
reparierbare Produkte anzubieten. Neue Geschäftsmodelle, die auf der
Vermietung und dem Tausch von Gütern und Dienstleistungen basieren, können
auch dazu beitragen, Abfallmengen zu senken, „solange sie wirklich
nachhaltig und bezahlbar sind“.
Die EU betritt mit ihren Ideen damit einen Bereich, das
Textilunternehmen in den letzten Jahren bereits angefangen haben zu
erkunden. Der Mode-Einzelhandelsriese C&A hat mehr als 4 Millionen Stück
kreislauffähige Cradle-to-Cradle-Bekleidung verkauft und Wettbewerber H&M hat im vergangenen Monat damit
begonnen, einen Verleihservice für Kleidung zu testen.
Diese
wegweisenden Bemühungen befinden sich jedoch noch in der Anfangsphase und
stellen eine Nische im 1,9 Billionen Dollar schweren Kleidungsmarkt dar. Bisher wird
weniger als 1 Prozent des für die Herstellung von Kleidung verwendeten
Materials recycelt, zeigte ein Bericht der Ellen MacArthur Foundation.
Typischerweise berücksichtigt das Design der Kleidung ein späteres
Recycling nicht.
Wohl-informierte Kaufentscheidungen
Die EU hofft, die Nachfrage nach kreislauffähigen Produkten zu steigern,
indem sie öffentliche Einrichtungen anregt, bei ihren Einkäufen mit gutem
Beispiel voranzugehen. Durch das Einführen umweltfreundlicherer Uniformen
für Polizei oder Krankenhäuser könnten europäische Länder zum Beispiel
Textilunternehmen dabei unterstützen, Investitionen zu tätigen, die bei
sonst ungewisser Nachfrage nicht erfolgen würden, sagte Scalia.
Vergleichbare und überprüfbare Informationen könnten den Verbrauchern
helfen, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen, so die EU. Ein
‚elektronischer Pass‘ könnte ein Beispiel für eine Anwendung sein, die
Informationen über Herkunft, Zusammensetzung, Reparatur- und
Recyclingmöglichkeiten eines Produkts bereitstellt.
Während verschiedene Modefirmen wie Zalando und PVH Corp. den Einsatz
von Blockchain und anderen Technologien in der Lieferkette getestet haben,
um vertrauenswürdige Informationen bereitzustellen, sind diese Projekte
bisher Piloten geblieben und wurden noch nicht umfassend umgesetzt.
Die EU hofft auch, „Green Washing“ zu reduzieren, sobald Unternehmen
beginnen, einen einheitlichen Maßstab für die Bewertung von umweltbezogenen
Versprechen zu verwenden. Die Kommission hat zwar angekündigt, dass sie
ihre Bemühungen zur Bekämpfung falscher Umweltangaben verstärken wird, aber
es ist noch unklar, welche Standards für Textilien verwendet werden
könnten.
Bekleidungsverbände hoffen nun, dass der Higgs-Index als
Nachhaltigkeits-Maßstab anerkannt wird, zeigt ein Positionspapier des
Policy Hub, der von den Interessengruppen Sustainable Apparel Coalition,
der Federation of the European Sports Goods Industry und der Global Fashion
Agenda gegründet wurde.
Mehr und besseres Recycling
Die EU-Kommission erwägt neue Vorschriften zur Reduzierung von
übermäßiger Verpackung und Abfall. Verpackungen in der EU müssen bis 2030
wiederverwendbar oder recycelbar sein. Gleichzeitig werden Maßnahmen gegen
Einweg-Kunststoff eingeführt. Der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft
zielt auch darauf ab, das Recycling von Altmaterialien und Nebenprodukten
zu verstärken, indem der Markt angekurbelt und die Abfallsammlung
untersucht wird.
Recycelte Materialien sind noch nicht weit verbreitet, weil sie im
Vergleich zu neuen Rohstoffen mehr kosten. Das Recycling von Textilien
steht auch noch vor einigen technischen Herausforderungen. Durch die Pläne
der EU hofft die Textilindustrie nun auf zusätzliche öffentliche Mittel für
die Erforschung von neuen Technologien und Steuersenkungen für zirkuläre
Güter und Materialien, wie Publikationen der Lobbygruppen Euratex und The
Policy Hub zeigen.
„Der Green Deal ist sehr ambitioniert, aber auch sehr vorsichtig bei der
Bewertung der Auswirkungen und jedes einzelnen Schrittes, den wir
unternehmen“, sagte von der Leyen am Mittwoch. Der Green Deal sei in seiner
Vision mit der Mondlandung vergleichbar. „Das ist Europas
Mann-auf-dem-Mond-Moment.“
Bild: Quelle: EC – Audiovisual Service Lukasz Kobus / Jennifer
Jacquemart | European Union, 2019