Highlights von der Berlin Fashion Week H/W 20/21

Auch in dieser Saison der Berlin Fashion Week gab es viele Neuerungen: eine neue Show-Location für die Mercedes-Benz Fashion Week im Kraftwerk, ein neues Zuhause für Neonyt und Panorama im ehemaligen Flughafen Tempelhof und eine neue Unterbringung für die FashionTech Konferenz gegenüber der Station im Aletto Hotel. Insgesamt also viele erfreuliche Neuerungen, die dem Publikum Wege sparten. Aber der Wegfall des Berliner Modesalons und des Vogue Salons hat eine klaffende Lücke hinterlassen. Es fehlten auch in dieser Saison einige Designer, die die deutsche und die Berliner Mode maßgeblich mit ausmachen.

Mercedes-Benz Fashion Talents

Eröffnet wurde die Berliner Modewoche mit einer Gruppenshow von vier Modedesignern aus Südafrika. Die internationalen Gäste Clive Rundle, Floyd Avenue, Viviers Studio und Rich Mnisi zeigten ihre Kreationen im Rahmen des Nachwuchsförderungsprogramms Mercedes-Benz Fashion Talents im Kraftwerk, das als Kulisse für die Modenschauen überaus positiv angenommen wurde. Fast erinnerte die frühere Location der Show & Order Messe an die Halle am Berghain, wo zuvor auch schon Lutz Huelle und Damir Doma ihre Kollektionen gezeigt hatten. In dieser Saison war leider kein solcher ‚Stargast‘ geladen, doch die Berliner Modeszene ließ sich davon nicht die Stimmung verderben.

William Fan

Den imaginären Award für das beste Locationscouting erhält auch in dieser Saison wieder William Fan, der seine Gäste in luftige Höhen entführte. Nichts geringeres als das Berliner Wahrzeichen, der Fernsehturm, diente dem Modemacher als Kulisse für sein Defilee. So waren die Besucher im sich drehenden Restaurant zwischen der Aussicht auf den Laufsteg und der vor dem Fenster hin- und hergerissen. Den inneren Zweikampf gewannen die perfekt geschnittenen Kleider, die selbstironischen Accessoires und die meisterhafte Stoffauswahl von William Fan, dem es auch in dieser Saison wieder gelang, fernöstliche Einflüsse gekonnt in seine zeitlos-coole Ästhetik zu integrieren.

Odeeh

Die ungekrönten Meister der Farben, das sind Otto Drögsler und Jörg Ehrlich von Odeeh und das selbst bei einer so in gedeckten Tönen daher kommenden Kollektion wie dieser: So gesellt sich Flieder zu Nougat und verschmilzt zu einem wabernden Op-Art-Brotaufstrich; die Farbe körnigen Senfs geht eine Partnerschaft mit Tinte ein, changierende Brokatsoffe sind zwischen den Gold-, Blau- und Grünschattierungen von Eiskonfekt-Verpackungen hin- und hergerissen und einigen sich auf einen bunten Farbteppich. Dazu ein perfektes Gefühl für flattrige Seidenkleider, große Lackledertaschen und Pailletten – die Seventies sind in den neuen Zwanzigern angekommen.

Nobi Talai

Der Laufsteg der iranischstämmigen Designerin Nobieh Talaei wurde von Schwarz-Weiß-Fotografien gesäumt, die Nomadenfrauen zeigten. So sollte das Publikum den kulturellen Kontext visuell verstehen und ein Gefühl für die von ihr heraufbeschworene andere Welt bekommen. Die Designerin sich hat in ihrer privaten Schatzkiste auf die Suche nach authentischen persischen Textilien, Kelimteppichen, traditionellem Festschmuck und kunstvoll gewebten Totenkopfkappen begeben und diese zu kosmopolitischen neuen Looks zusammengesetzt. „Ich versuche immer, meine beiden Heimatländer zusammenzubringen“, sagt Talaei, „und beide Welten zu spüren.“ Die überaus gelungene Kollektion setzte auf messerscharf geschnittene Ensembles mit maskulinen Karomustern, die von feminin fließenden Looks konterkariert wurden.

Lou de Bètoly

Ungewöhnlich viel Stoff gab es bei der französischen Designerin Lou de Bètoly zu sehen, die mit ihrer Kollektion namens „Bourgeoibstrus“ ihre dritte Runway-Show für die Kollektion Herbst/Winter 2020/2021 in einem verlassenen Büro im 21. Stockwerk des ehemaligen Postcheckamtes Berlin West (heute Hux Tower) zeigte und damit nur knapp ihrem Kollegen William Fan beim imaginären Location-Scouting-Award unterlag.

Die Kollektion der Designerin, die zuvor oft optisch an perfektionistische Wirklichkeitsaufgabe in Form von Knüpfen, Häkeln, Perlenauffädeln und Stricken grenzte, fand in dieser Saison eine neue Ausdrucksform im Textilen, die sie, auf allerbeste Weise, tragbar machen. „Bourgeoibstrus“ ist als die Verbindung der beiden Wörter „bürgerlich“ und „abstrus“ zu lesen. So hinterfragt Lou de Bètoly offen Klassen, Gender und der Alter, wobei sie vor allem feine Materialien verwendet und sich direkt auf einen traditionellen bürgerlichen Status bezog. „Wie Alice macht sie alles verkehrt herum oder verstößt gegen das, was gesellschaftlich angemessen ist“, heißt es in der begleitenden Erklärung.

Die zentrale Plattform fehlt

Die Berliner Modewoche schrumpft, mit der Einstellung des Vogue Salons und des Berliner Modesalons haben viele Talente ihre Plattform verloren. Wenn sich daran nichts ändert, scheint die Abwanderung— oder schlimmer, die Geschäftsaufgabe, von vielversprechenden Talenten eine traurige Gewissheit.

Eine Möglichkeit, mehr DesignerInnen einen Plattform zu bieten, ist die Fläche im Kraftwerk, auf der aktuell Mercedes-Benz, in Zusammenarbeit mit der die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe/Projekt Zukunft, die „Local Talents“ ausstellt. Neben drei geförderten Modenschauen erhielten dort sechs DesignerInnen während der MBFW die Möglichkeit, ihre Key Looks innerhalb einer Installation dem Fachpublikum sowie der breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Fragt sich: Warum nicht mehr Designer? Der Platz ist vorhanden, hier könnte ein ganzer Salon stattfinden.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop verkündete beim Fireside Chat, dem Branchentreff des Fashion Council Germany—dem an dieser Stelle zum fünfjährigen Bestehen gratuliert sei—eine Aufstockung der Fördergelder für die Mode. Vielleicht reicht das, um einen neuen Salon ins Leben zu rufen, der der deutschen Mode vollends gerecht wird.

Bilder: Header: © M. Zumbansen via MBFW, 2, 3 und 4: MBFW

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