INTERVIEW Angenommen, es ist
Hochsommer, und im Kleiderschrank befinden sich nur Kleidungsstücke aus
Polyester oder anderen Synthetikfasern, keine natürlichen, atmungsaktiven
Materialien. Trotzdem muss man sich jeden Tag fürs Büro kleiden. Schon bald
juckt die Haut, ist gerötet und gereizt und man selbst ist es auch, was die
Zusammenarbeit zum Alptraum macht. So weit, so schlecht. Angenommen, man
ist zudem auch noch schwanger, die Körpertemperatur von Natur aus etwas
höher und die Haut etwas empfindlicher. Ein Alptraum? Auf jeden Fall. So
schlimm, dass die Unternehmerin Elle Wang beschloss, Emilia George zu
gründen, die allererste zu 100 Prozent nachhaltige Linie für Umstands- und
Stillkleidung aus den USA.
Zur Zeit der Gründung war Wang selbst schwanger und hatte genug von
sieben Monaten heißem, juckendem Elend. Sie hatte auch mit vielen anderen
werdenden Müttern gesprochen, und alle waren sich einig, dass
Schwangerschaftskleidung etwas ist, mit dem man „durch ist und zurecht
kommt“ und dann nie wieder zurückblickt. Da die Schwangerschaft eine
relativ kurze Zeit im Leben einer Frau ist, sind Frauen oft nicht bereit,
in eine neue Garderobe zu investieren. Doch hier ist Wang anderer Meinung.
Schwangerschaft sollte gefeiert, nicht vergessen werden
„Die Schwangerschaft ist eine ganz besondere Zeit im Leben einer Frau
und für viele eine einmalige Erfahrung in ihrem Leben. Dennoch fühlen
Frauen sich nicht schön, wenn sie sich doch verwöhnen und in gute, bequeme
Kleidung investieren sollten, die sie selbst und ihre Haut nicht reizbar
macht. Man sollte eine Schwangerschaft wirklich feiern. Deshalb machen die
Leute schöne Fotos; sie wollen sich an diese Zeit erinnern und nicht die
alten Hemden ihres Mannes tragen“, sagt sie. So wurde Emilia George geboren
(George ist der Name ihres Sohnes und Emilia ist ein Mädchenname, den sie
sehr mag).
Von Anfang an war sich Wang sicher, dass sie bei der Qualität der
Materialien keine Kompromisse eingehen wollte. Heute verwendet das Label in
seinen Kollektionen drei umweltfreundliche Stoffe: Bambus, Cupro und
Tencel-Luxe. Während Bambus von Natur aus kühlend und atmungsaktiv ist,
handelt es sich bei Cupro um ein Baumwoll-Nebenprodukt, das eine beliebte
Alternative zu Seide ist, da es weich ist und einen dezenten Glanz
aufweist, und Tencel-Luxe ist eine umweltfreundliche Faser, die aus der
Zellulose von Eukalyptusbäumen gewonnen wird.
Angesichts dieser hochwertigen und damit teuren Stoffe sowie der
geringen Mengenanforderungen von Emilia George schien der Gedanke, ein
kommerzielles Label gründen zu wollen, fast unmöglich. Doch Wang blieb
hartnäckig und überzeugte die Menschen mit ihrer Vision, Entschlossenheit
und der Qualität ihrer Produkte.
Produktion hochwertiger Umstandsmode in kleinen Mengen schien
unmöglich
Anfänglich ließ Wang ganz in der Nähe ihrer Wohnung in Manhattan
produzieren, direkt im Garment District, in einem kleinen Boutique-Laden,
der ihre Stücke nähte. Obwohl bequem und kostengünstig in Bezug auf den
Transport, war die langfristige Produktion in New York weder nachhaltig
noch erschwinglich. Deshalb streckte Wang ihre Fühler auch nach China aus,
ihrem Heimatland. „Es gibt so viele Wege, wie man ein Ziel erreichen kann –
zum Beispiel in den USA zu produzieren oder die Lieferkette zu erforschen“,
erklärt sie.
Schon bald traf sie auf der Texworld in New York eine chinesische Firma,
die ihr zusagte, aber sie wollte nicht mit ihr zusammenarbeiten. “Ich habe
kein Büro und keine Website – werden Sie mir helfen?“, fragte Wang. Die
Antwort war ‘nein’: „Wir arbeiten nur mit hochwertigen Damenmodemarken“,
hieß es. Aber Wang blieb in Kontakt, schickte Presseberichte über ihre
Marke, als sie an Fahrt gewann und wuchs, und überzeugte die Firma
schließlich, einen Probelauf mit ihr zu starten.
Dann flog Wang selbst nach China, um die Fabriken in Augenschein zu
nehmen – glücklicherweise noch vor dem weltweiten Lockdown – und jetzt
kommt bald die erste Sommerkollektion heraus, die in China hergestellt
wurde. „Für die Fabriken, die ich mir schließlich in China ausgesucht habe,
habe ich meine Hausaufgaben gemacht und geschaut, mit welchen Marken sie
zusammenarbeiten. Man muss die Menschen in den Fabriken treffen“, rät sie
und fügt hinzu, dass sie jeden Tag mit ihren Produktionskontakten spricht,
normalerweise, sobald ihr 13 Monate alter Sohn eingeschlafen ist.
Die sorgfältige Lieferantenauswahl zahlt sich in Krisenzeiten aus
Diese sorgfältige Auswahl und Investition in Kontakte zahlt sich gerade
jetzt in Zeiten der Covid-19-Krise aus, denn die Geschäftsbeziehung hat
sich organisch entwickelt und Wang kennt die Situation vor Ort.
„Menschliche Interaktion ist wichtig, ebenso eine Verbindung und Vertrauen
aufzubauen“, bestätigt Wang. Außerdem hat sie ihre Mutter als
Ansprechpartnerin vor Ort. Die inzwischen im Ruhestand befindliche
Veteranin mit 15 Jahren Erfahrung in der Textilbranche besuchte kürzlich
die Fabriken, um sich über die Situation vor Ort zu informieren und die
Qualität anhand von Mustern zu prüfen. Das allein spart schon wertvolle
Zeit, da die Muster nicht hin und her geschickt und dann angenommen werden
müssen.
„Wir sind ein Mutter-Tochter-Team, wobei meine Mutter den größten Teil
der Produktion und des Betriebs leitet, während ich hier bin, um mit den
Frauen über meine eigenen Erfahrungen in Kontakt zu treten und die
Geschichte von Emilia George zu erzählen“, erklärt Wang.
Heute ist jedes Kleidungsstück von Emilia George zu 100 Prozent
nachhaltig und recycelt, in kleinen Mengen produziert und fast alle sind
Öko-Tex-zertifiziert, was sie sicher für das Stillen von Babys und
Kleinkindern macht. Alle Emilia George-Stücke sind zudem durchdacht
konstruiert und verfügen über diskrete Eingriffe für einen leichten
Stillzugang. Die dauerhaft klassischen Designs eignen sich perfekt für jede
Gelegenheit während der Schwangerschaft und der gesamten Mutterschaft.
Wang denkt aber auch an ihre Kundinnen in der aktuellen
Coronavirus-Situation und an die Tatsache, dass das Tragen von Masken noch
eine Weile zum Alltag gehören wird. Ein Stück Stoff, das direkt am Gesicht
getragen wird, sollte aus bestem Material bestehen und atmungsaktiv und
dennoch wirksam sein. Deshalb fragte Wang bei ihrem Lieferanten nach, der
ihr beliebtes Eireen-Kleid herstellt, das zu 100 Prozent aus Cupro besteht.
Dieser bestätigte, dass es genug Reststücke gibt, um nachhaltige
Gesichtsmasken herzustellen, und genau das tut die Fabrik derzeit. Die
Resonanz war so gut, dass Wang inzwischen sogar mit Regierungsbehörden
zusammenarbeitet, um bei der Massenproduktion zu helfen. Emilia
George-Kundinnen bekommen derweil zu jedem gekauften Artikel eine Maske
geschenkt.
„Das ist das Schöne an meinem Label, die Mission, schöne Kleidung zu
schaffen“, sagt Wang. „Ich startete aus der Verbraucherperspektive heraus.
Ich bin Mitglied vieler Müttergruppen und liebe es, mich mit anderen
Müttern auszutauschen; das ist genau die Art von Botschaft und positive
Haltung, die ich verbreiten möchte. Dadurch hatte ich eine andere
Herangehensweise, ich wollte Umstandsmode cool machen“, sagt die
vielbeschäftigte Unternehmerin, die sich selbst als Draufgängerin
beschreibt.
Umstandsmode ist cool geworden – sogar für Nicht-Schwangere
Dass sie dieses Ziel erreicht hat, zeigt die Tatsache, dass die Hälfte
ihrer Kundinnen Frauen sind, die nicht schwanger sind und dies auch in
naher Zukunft nicht planen. Ihnen gefällt die Qualität und das Design der
eleganten und dennoch praktischen Stücke, so dass sie sich perfekt fürs
Büro und formelle Anlässe eignen. Auf die Frage nach einer typischen Kundin
von Emilia George – falls es sie gibt – antwortete Wang, dass die Frauen,
die ihre Kleidung kaufen, sie länger tragen wollen und generell weniger
kaufen. Stattdessen investieren sie in langlebige Stücke.
Für die Zukunft hofft Wang, bessere nachhaltige Alternativen zu den
derzeit teuren Stoffen und hohen Produktionskosten anbieten zu können.
Während die USA für eine Weile der stärkste Markt bleiben werden, ist das
Interesse aus Europa, insbesondere aus den skandinavischen Ländern und
Großbritannien, groß. Langfristig plant Emilia George auch, auf den
chinesischen Markt zu treten, behält aber im Hinterkopf, dass es sich um
einen ganz anderen Markt handelt, der einen bestimmten Ansatz erfordert.
Dennoch gibt es sicherlich auch dort eine neue Generation von Müttern, die
sich stilvoller kleiden wollen.
Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Emilia George