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Verlorenes Interview bildet Kern der neuen Bill Cunningham Dokumentation

REVIEW Mitte Februar wurde der
zweite Dokumentarfilm über den Streetstylefotografen Bill Cunningham mit
dem Titel The Times of Bill Cunningham eröffnet. Im Mittelpunkt
steht ein Interview mit Cunningham von Regisseur Mark Bozek aus dem Jahr
1994, das zehn Minuten dauern sollte, aber erst endete, als das
Aufnahmeband nach sechs Stunden zu Ende ging.

Unterlegt mit der Stimme von Sarah Jessica Parker geht es in dem Film um
Cunninghams katholische Erziehung, seine ersten Schritte in der
Hutmacherei, seine Stationierung in Frankreich während des Koreakrieges,
als er sich zu den Pariser Modeschauen davonschlich, und eine überraschende
Zeit im Modejournalismus. Aber der Schwerpunkt liegt auf den vier
Jahrzehnten, in denen Cunningham für die New York Times durch die
Straßen Manhattans radelte und Trends fotografierte. Das Interview wurde
einige Wochen nachdem Cunningham während der Arbeit von einem Lastwagen von
seinem Fahrrad gestoßen wurde aufgenommen – und er war nicht
krankenversichert. Wir erfahren, dass der Fotograf, obwohl er
bekanntermaßen sparsam lebte, zu Lebzeiten still und leise Millionen von
Dollar für die katholische Kirche und die AIDS-Forschung spendete, und
dass, als der Modezeichner Antonio Lopez der Krankheit erlag, Cunningham
ein Kunstwerk für 120.000 Dollar kaufte und es dann umgehend zurückgab,
damit Lopez es wieder verkaufen konnte, um seine Behandlung zu bezahlen.
Cunningham sammelte auch eine feine Kunst- und Diamantensammlung an, die er
in einem Leinwandbeutel in seiner überladenen kleinen Carnegie Hall Studios
Residenz aufbewahrte. Dennoch schlief er fünfundvierzig Jahre lang auf
einer schmalen Schaumstoffmatratze und teilte sich ein Badezimmer mit den
anderen Bewohnern des zwölften Stocks.

Der Filmemacher Bozek (ein ehemaliger CEO von Home Shopping Network)
wollte zum ersten Mal keinen Modefilm machen, aber nach Cunninghams Tod
2016 grub er das Betacam-Band aus, erkannte seine Bedeutung und begann so
dieses leidenschaftliche Projekt. Cunningham selbst hat sich nie als
Modefotograf, sondern als Modehistoriker gesehen, und der Film zeigt etwa
500 Schwarzweiß- und Farbfotos von Cunninghams New Yorkern, von der
zurückgezogenen Greta Garbo, die sich im Pelz aus ihrer Wohnung schleicht,
über spärlich bekleidete Feiernde bei der ersten Gay-Pride-Parade bis hin
zu einem anonymen Sommerspaziergänger mit Tupfenmuster auf einem
Zebrastreifen in der Innenstadt. Bei der Vorführung werden faszinierende
Schichten von Cunninghams Persönlichkeit aufgedeckt, die im Film angedeutet
werden. Für diese sprach Bozek auch mit Cunninghams Nichte und seinen
Freunden Isabel und Ruben Toledo, die beide große Unterstützer des
Dokumentarfilms sind.

Neue Dokumentation über den Fotografen Bill Cunningham

Bozek beschreibt Cunningham als „einzigartigen, zerbrechlichen,
komplizierten New Yorker, von dem ich wirklich glaube, dass sie Gebäude
nach ihm benennen und Statuen für ihn bauen werden, weil er seit 1952 Teil
des Gefüges der Stadt ist.“ Die Traurigkeit schien bei Cunningham sehr nahe
an der Oberfläche zu sein, und er bricht während des Films ein paar Mal
zusammen, einmal, als er über seine eigene Schüchternheit spricht, ein
anderes Mal, als er sich an Freunde erinnert, die er durch AIDS verloren
hat. Aber Bozek sagt: „Er war kein einsamer Mann, die Toledos aßen mit ihm
wöchentlich in den kitschigsten, schmierigsten Spelunken der Seventh Avenue
zu Abend, nachdem sie ihn in den 80er Jahren als Club-Kids kennen gelernt
hatten, als sie das erste Mal aus Kuba kamen.”

„Er hatte eine sehr private Seite“, sagt Bozek. Bei den Veranstaltungen
zur Einführung des Films in New York am vergangen Wochenende feierten neben
Bozek auch andere New Yorker Modeakeure, wie André Leon Talley, Bethann
Hardison und Norma Kamali, das Vermächtnis Cunninghams.

Bei der Fertigstellung des Films erhielt Bozek Zugang zu einem Archiv
mit drei Millionen Dokumenten und Fotos, Briefen, Tonbandaufnahmen von
Diana Vreeland, Telefongesprächen mit Charles James, schonungslosen Notizen
aus der legendären Versailles-Show der 70er Jahre, über die französische
und amerikanische Designer miteinander diskutierten, und vieles mehr. „Wenn
dieses Archiv verkauft wird“, sagt Bozek voraus, „wird es die Leute
umhauen.“

Bis dahin haben wir The Times von Bill Cunningham.

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie
Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches
‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen
Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Fotos: The Times of Bill Cunningham Facebook page

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