Modehändler in Deutschland können ab Montag schrittweise
wieder ihre Läden öffnen. Den Auftakt machen die Geschäfte ab 800
Quadratmeter. Wie bereiten sich die Ladeneigentümer auf die bevorstehende
Eröffnung ihrer Stores und neue Gesundheits-Vorschriften angesichts
der Coronavirus-Pandemie vor? Ein Querschnitt durch die Republik von Gerry
Weber bis zur Boutique Heimat.
Sevil Uguz, Eigentümerin des LNFA Store für junge Designerlabels im
Bikini Berlin
Auf die Nachricht, dass ihre Läden wieder öffnen dürfen, haben dieser
Tage viele Eigentümer gewartet. Doch manche wissen noch nicht genau, wie
sie damit umgehen sollen. Dazu gehört auch Sevil Uguz, die Eigentümerin des
LNFA Store in Berlin. Der Grund für ihre noch verhaltene Freude ist, dass
sie noch nicht weiß, ob ihr Laden im Einkaufszentrum Bikini Berlin öffnen
darf. Die Bundesländer entscheiden die Details zu den Ladeneröffnungen und
Berlin hat sich bisher nicht zum Zeitpunkt geäußert, noch dazu ob Stores in
Einkaufszentren wieder den Betrieb aufnehmen können.
”Am Anfang war die Angst groß, aber jetzt haben sich die meisten in der
Modebranche mit der Situation abgefunden. Das Zusammensammeln der Scherben
war in den letzten Wochen, jetzt kleben wir die Vase wieder zusammen”,
erzählt Sevil Uguz. “Mein Team ist in Kurzarbeit, was wir aufstocken
mussten. Im Retail verdienen viele nicht so viel, da reicht das
Kurzarbeitergeld kaum aus.” Trotz der Unsicherheit wegen der Eröffnung
bereiten sie und ihr Team sich schon vor. Auf allen Social Media Kanälen
plant sie die getroffenen Maßnahmen im Store bekanntzugeben, weil ein
transparenter Umgang wichtig sei. Ihr Team bekommt Masken und Handschuhe
angeboten, die von den Designern angefertigt wurden, die ihr Laden führt.
Im 400 Quadratmeter großen Store muss nun darauf geachtet werden, dass
dort nicht zuviele Kunden auf einmal stehen.
“Unser Team muss jetzt ungeachtet der Öffnungen trotzdem darauf achten
sich und auch die Kunden zu schützen. Außerdem dürfen teamintern die
Erwartungen an die sofortige Normalität nicht zu groß sein. Trotzdem ist zu
der Wiedereröffnung vorgesehen, dass wir alle kurz mal mit Abstand
anstoßen. Da wir nicht sofort mit einem riesigen Ansturm rechnen, werden
wir in abgespeckter Version auf der Fläche vertreten sein.” Die
Eigentümerin hofft aber, dass bald das ganze Team wieder im Laden steht.
Während des Lockdowns befüllten ihre Mitarbeiter den Onlinestore und
Sevil Uguz hat auch angefangen sich nach E-Commerce-Lösungen umzusehen.
“Hier müssen wir unsere Hausaufgaben machen und aus der Krise lernen. Ich
glaube, wer es aus der Krise schafft und die Lektionen daraus lernt, der
könnte dieses Jahr noch viel Spaß haben. Zum Glück arbeiten wir mit
Designern zusammen und haben keine Saisonware, aber wenn die
Ladenschließungen bis Mitte Mai nicht aufgehoben sind, könnte es auch für
uns eng werden.“
LNFA wurde 2017 gegründet und beschäftigt fünf Mitarbeiter.
Der Store vertreibt Labels wie Arys, Esther Perbrant und Vertere Berlin.
Andreas Hoyer, Mitgründer und Einkäufer der Boutique Heimat in Köln
Die Boutique Heimat setzt auf den persönlichen Kundenkontakt – auch
während der Zeit, als der Laden geschlossen war, erzählt Miteigentümer Andreas
Hoyer. “Der persönliche Kontakt ist uns sehr wichtig, wir wollen keine
anonymisierte
Onlinewelt bedienen. Da gibt es andere große Geschäfte, die besser
aufgestellt sind, wir bedienen eher eine Nische, die zum Großteil aus
Stammkunden besteht. Dadurch, dass wir die Meisten persönlich kennen und
wissen wie sie aussehen, können wir eine gute Auswahl treffen, die wir dem
Kunden dann zuschicken: Die persönliche Beratung macht uns aus.” Die
Verbundenheit der Kunden, hilft jetzt auch bei der Eröffnung kommende
Woche.
“Wir brauchen unsere Kunden nicht wirklich informieren, dass wir wieder
aufmachen. Es ist schon fast eher andersherum, dass wir vorfreudige
Nachrichten bekommen, das es Montag wieder los geht. Das sind auch im
Endeffekt die, die für uns die Werbung machen, wir haben noch nie aktiv
geworben. Am Montag wird bei uns keine 150 Meter lange Schlangen vor dem
Geschäft stehen. Außerdem müssen Kunden bei uns klingeln, um ins Geschäft
zu kommen und meistens machen wir sowieso persönliche Termine aus – so
lässt sich alles besser steuern. Wir hoffen einfach, dass unsere Kunden zu
einer gewissen Normalität des Alltages zurückkehren und uns wieder besuchen
können.“
Bild:
Modehandel GmbH
Ob Hoyer eine Rabattschlacht befürchtet? “Es ist Hauptsaison und alle
Geschäften haben zu. Manche verkaufen sicherlich online etwas, aber das
fängt garantiert nicht die Einnahmen des stationären Einzelhandels der
letzten drei Monate auf – es sei denn du bist ein reiner Onlineshop, aber
selbst die haben Einbrüche feststellen müssen. Die Geschäfte sitzen auf der
Ware und die muss spätestens nach sechs Monaten raus, sonst bleiben sie auf
den Produkten sitzen. Die Unternehmen brauchen einen Cashflow und müssen
ihre Rechnungen bezahlen: Ich glaube schon, dass das eine Mordsschlacht
wird.
“Wir haben da vielleicht noch Glück, dass unsere angebotenen Produkte sehr
selten, zumindest in der Auswahl, zu finden sind. Dadurch entsteht bei uns
auch nicht diese Erwartung, wie es online oft ist, dass das Produkt
irgendwann reduziert ist und die Kunden deshalb warten – so ist unsere
Kundschaft aber auch nicht strukturiert.”
Heimat wurde 2002 von Andreas Hoyer und Andy Scherpereel
gegründet. Die beiden sind immer noch zu zweit. Der Store vertreibt
Kollektionen von Comme des Garçons,Issey Miyake und Walter Van Beirendonck.
Alexander Gedat, Vorstandschef beim Modekonzern Gerry Weber in
Halle
”Ein verantwortungsvolles Wiederhochfahren halten wir für dringend
notwendig, um allen Anbietern stationären Handels ihre Existenzgrundlage
zurückzugeben und das Ungleichgewicht zum durchgehend geöffneten Handel,
der zum Beispiel teilweise auch Textilien im Sortiment hat, nach und nach
aufzuheben”, sagte Vorstandschef Alexander Gedat.
Am kommenden Montag eröffnen 120 Stores des Modekonzerns in Deutschland,
weitere werden je nach Regelung der einzelnen Bundesländer folgen. Weiter
geschlossen bleiben die Outlets und Konzessionsflächen in Warenhäusern wie
Galeria Karstadt Kaufhof; bei den Stores in den Einkaufszentren ist die
Lage noch unklar. Die Mitarbeiter werden die von Gerry Weber
selbsthergestellten Masken tragen und auch Kunden bekommen Mundschutz, wenn
sie es wünschen. Bei den Umkleidekabinen wird nur jede zweite benutzt. In
vielen Filialen werden Abstandsstreifen angebracht und die Ladenmitarbeiter
wurden alle dazu geschult, wie sie Kunden am besten aus zwei Meter Abstand
beraten.
”Gerry Weber hat seit Beginn des Shutdowns, von unterschiedlichen
Szenarien ausgehend, mit allen hierfür relevanten Abteilungen entsprechende
Strategien zur Wiedereröffnung entwickelt, so dass wir gut vorbereitet
sind. Alle Filialen werden bei ihrer Wiedereröffnung über ausreichend
Artikel wie Mund-Nasen-Schutzmasken und Desinfektionsmittel verfügen.
Darüber hinaus sind wir in der Lage, unsere Mitarbeiter kurzfristig aus der
Kurzarbeit zurückzuholen, um diese zielgerichtet an den ‘Point of Sale’
sowie allen komplementären Funktionen einzusetzen.”
Einige Rabatte auf ausgesuchte Styles wird es zur Eröffnung geben, heißt
es von Gerry Weber. Aber insgesamt soll die SS20-Ware wie sonst auch
verkauft werden. Der Warendruck sei nicht hoch, weil auch Produkte aufgrund
von Lieferkettenproblemen am Jahresanfang nicht geliefert werden konnten –
das gleiche sich mit der Menge aus, die während der Schließung nicht
verkauft werden konnten.
Gerry Weber wurde 1973 als Hatex KG gegründet, betreibt 1270 Stores und Verkaufsflächen weltweit und beschäftigt insgesamt 3400 Mitarbeiter.
Die Stores verkaufen Damenbekleidung.
Tim Böker, Retail-Chef bei Rose Bikes, Fahrradläden mit Textilsortiment
Auch Buch-, Auto- und Fahrradläden bereiten sich mit
Feuereifer auf ihre Wiedereröffnungen vor. So etwa der Bocholter
Mittelständler , der in den letzten Wochen mit der Initiative „Händler
helfen Händlern“ zu einem gemeinschaftlichen und branchenübergreifenden
Handeln aufgerufen hat. Ab Montag gibt es in den Läden in Bocholt, München
und Posthausen strenge Sicherheitsmaßnahmen wie Schutzmaskenpflicht für
alle Kunden und Mitarbeiter, die Einhaltung eines Sicherheitsabstands, der
durch extra eingestellte ‘Hygiene- und Flächencoaches’ überwacht wird, strengere Hygienemaßnahmen im Laden und
eine häufigere Reinigung von Laden und Produkten, zu denen auch Textilien
gehören.
„Auch wenn die Öffnung unserer Geschäfte gesundheitspolitisch vertretbar ist, müssen wir mehr tun, als die Sicherheits- und Hygienevorkehrungen treffen, die uns die Regierung vorgibt“, sagt Tim Böker, Retail-Chef bei Rose Bikes, in einer Mitteilung. „Die Prävention und Verhinderung von Infektionsketten ist extrem wichtig. Dafür haben wir ein umfassendes Schutzprogramm und Vorsorgemaßnahmen erarbeitet. Alle Mitarbeiter erhalten regelmäßig Schulungen über Hygienevorschriften und werden täglich sensibilisiert, den nötigen Mindestabstand einzuhalten.“
Mehr zu den Vorbereitungen von Rose Bikes lesen Sie hier.
Rose Bikes wurde 1907 gegründet und beschäftigt insgesamt 450 Mitarbeiter, davon 85 auf den Flächen.
Der Store vertreibt Labels wie Fahrradbekleidung, Fahrräder und Zubehör.
Wiedereröffnung mit Hürden
Die lang erhoffte Eröffnung der Läden gestaltet sich wegen der
behördlichen Regelungen und auch Gesundheitsvorschriften für manchen
Besitzer gar nicht so einfach. Gerade Unternehmen mit Häusern über 800
Quadratmetern müssen weiter warten. Galeria Karstadt Kaufhof will jetzt mit einer
Klage die Eröffnung seiner Filialen durchsetzen. Andere Kaufhäuser wie
Breuninger haben einen virtuellen Bestell- und Beratungsservice live von
den Verkaufsflächen eingerichtet.
Es ist auch damit zu rechnen, dass die Kundenfrequenzen deutlich unter
dem normalen Niveau bleiben und die Öffnung sich aus
betriebswirtschaftlicher Sicht kaum lohnt, sagt der Handelsverband Textil
am Freitag. Trotzdem rät der BTE seinen Mitgliedern ihre Läden zu eröffnen,
um gegenüber den politischen Entscheidungsträgern zu signalisieren, dass
der Textilhandel wieder seine Arbeit aufnehmen will. Praktische Hilfe
bietet der Verband mit seinen Abstandshaltern. Die Schilder
helfen, Kunden zu erklären, wie groß der Sicherheitsabstand von 1,50 Metern
ist – nämlich etwa soviel wie drei T-Shirts, sechs Schuh- oder zwei
Gürtellängen.
Dieser Beitrag entstand mithilfe von Ole Spötter, Simone
Preuss und Weixin Zha.
Bild: Pexels