Ende der Schönwetterphase: Mehr Firmenpleiten erwartet

Droht Deutschland 2020 eine Welle von
Firmenpleiten? Ganz so dramatisch sehen es die Experten von
Creditreform bislang nicht. Allerdings: Erstmals seit dem Krisenjahr
2009 erwartet die Wirtschaftsauskunftei im nächsten Jahr wieder einen
Anstieg der Insolvenzen von Unternehmen.

„Der jahrelange Rückgang bei den Unternehmensinsolvenzen ist de
facto beendet“, stellte Creditreform-Hauptgeschäftsführer Volker
Ulbricht am Dienstag in Frankfurt fest. „Die konjunkturelle
Abschwächung in Deutschland macht sich zunehmend in der
Insolvenzstatistik bemerkbar.“

Für das kommende Jahr rechnet Creditreform mit 19 800
Firmenpleiten in Europas größter Volkswirtschaft. Das wäre eine
Trendwende: Seit 2009 (32 930 Fälle) sind die Zahlen kontinuierlich
gesunken, seit dem Höchststand im Jahr 2003 mit 39 470 Firmenpleiten
haben sich die Fallzahlen in Deutschland halbiert.

Bis zum Ende des laufenden Jahres werden nach Einschätzung von
Creditreform 19 400 Unternehmen hierzulande den Gang zum
Insolvenzrichter angetreten haben. Das wären fast genauso viele wie
im Jahr 2018 (19 410 Fälle).

Bei den Verbraucherinsolvenzen setzte sich der seit 2010
anhaltende rückläufige Trend fort, wenn auch nicht mehr so deutlich:
65 700 Privatleute rutschten im Jahr 2019 in die Pleite und damit 3,0
Prozent weniger als ein Jahr zuvor (67 740). Hier erwartet
Creditreform dank der nach wie vor guten Lage auf dem Arbeitsmarkt
2020 einen weiteren Rückgang auf 64 000 Fälle.

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen verharrt auf dem niedrigsten
Stand seit 25 Jahren. Doch womöglich trügt die Ruhe. Einer Auswertung
des Informationsdienstleisters Crifbürgel zufolge gehen über 310 000
Unternehmen in Deutschland mit finanziellen Problemen ins Jahr 2020.
Viele Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren „einen Puffer
gegen Krisen aufgebaut“, erklärte Crifbürgel-Geschäftsführerin Ingrid
Riehl. „Diese Widerstandsfähigkeit beginnt jedoch zu bröckeln.“

Handelskonflikte und das Brexit-Drama belasten Exporteure, die
Umbrüche in der Automobilindustrie fordern auch deren Zulieferer.
„Hinzu kommt die steigende Anzahl an Großinsolvenzen im Jahr 2019. In
vielen Fällen sorgen so Dominoeffekte dafür, dass zahlungsunfähige
Firmen weitere Unternehmen mit in die Insolvenz ziehen“, analysierte
Riehl.

Die Kreditversicherung Euler Hermes hatte anhand von Zahlen für
die ersten neun Monate 2019 bereits darauf hingewiesen, dass im
laufenden Jahr verstärkt namhafte und große Unternehmen von
Insolvenzen betroffen waren: unter anderen die Modefirma Gerry Weber
, die Fluggesellschaft Germania und das
Windanlagenunternehmen Senvion. Für viel Aufsehen
sorgte in den vergangenen Wochen die Pleite des Reisekonzerns Thomas
Cook. Amtliche Insolvenzzahlen für das Gesamtjahr 2019
veröffentlicht das Statistische Bundesamt im März.

Die weitaus meisten Unternehmen sterben im Verborgenen: In vier
von fünf Fällen (81,7 Prozent) haben Firmen, die in die Pleite
rutschen, nach Angaben von Creditreform höchstens fünf Beschäftigte.
Besonders groß ist das Pleiterisiko demnach etwa bei
Umzugstransporten, Bars sowie Wach- und Sicherheitsdiensten.

Jede einzelne Firmenpleite – und sei sie noch so klein – trifft
Mitarbeiter und Gläubiger hart. In Summe stehen Creditreform zufolge
im laufenden Jahr rund 218 000 Arbeitsplätze auf der Kippe oder sind
bereits verloren – etwa 20 000 mehr als ein Jahr zuvor.

Handwerker, Lieferanten, Kreditgeber müssen häufig zumindest auf
einen Teil ihres Geldes verzichten. Creditreform schätzt die
Insolvenzschäden im laufenden Jahr auf insgesamt 23,5 Milliarden Euro
– auch dies mehr als 2018 (20,1 Mrd Euro).

Sorgen machen den Experten zwei Trends: Zum einen hielten
niedrige Zinsen und günstige Finanzierungsbedingungen in den
vergangenen Jahren etliche Unternehmen am Leben, die in normalen
Zeiten wohl eher ein Pleitekandidat wären. Zum anderen kam es nach
den Zahlen von Creditreform 2019 zu einem spürbaren Anstieg der
Insolvenzen im Verarbeitenden Gewerbe (plus 6,6 Prozent) – die
aktuelle Schwäche der Industrie schlägt also durch.

„Die Unternehmen kommen aus einer langen Phase des Sonnenscheins
(…), haben sich etwas Speck angefressen, das verhindert das
Schlimmste“, sagt Creditreform-Hauptgeschäftsführer Ulbricht. „Es ist
nicht so, als hätten wir einen dramatischen Umschwung. Wir haben eine
Symptomatik, die darauf hinweist, dass der Himmel nicht mehr blau
ist, sondern dass er sich bewölkt hat. Und vereinzelt regnet es, und
es gibt hier und da auch Blitzeinschläge.“ (dpa)

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