Modeschule Digital: Nachhaltiger Wandel des Systems durch Studierende?

Modeschule Digital: Nachhaltiger Wandel des Systems durch Studierende?

HINTERGRUND Im zweiten Teil
dieses Berichts über Fernunterricht, in dem FashionUnited mit drei
Pädagogen sprach, Simon Ungless (Executive Academy of Art University in San
Francisco), Elisa Palomino (Senior Lecturer of BA Fashion Print am Londoner
Central Saint Martins) und Shelley Fox (Director, MFA Fashion Design &
Society bei Parsons in New York City), sieht die Zukunft der Nachhaltigkeit
ausgesprochen rosig aus.

Nach etwa sechs Wochen, in denen die Studierenden von zu Hause aus
arbeiten, scheint das Upcycling, eine Säule der Nachhaltigkeit, ihre
Kreativität auf ein noch nie dagewesenes Niveau gehoben zu haben. Palomino
rief Studierende in einen Schreiben „Couture in Confinement“ dazu auf,
“ihren Status in einem neuartigen System zu überdenken, über Konsum und
Verschwendung nachzudenken, sich zu verpflichten, den durch Unachtsamkeit
angerichteten Schaden rückgängig zu machen und zu reparieren,
wiederzuverwenden, zu recyceln und Upcycling zu betreiben“. Eine Studentin
reagierte darauf, indem sie alte Duschvorhänge upcycelte, die ihre Mutter
weggeworfen hatte. Eine andere benutzte Lattenroste zur Herstellung einer
Form und sammelte alte Stoffreste, tote Insekten, Haare und Seifenstücke,
um ihre eigene Version der japanischen Tradition der
Washi-Papierherstellung herzustellen.

Modeschule Digital: Nachhaltiger Wandel des Systems durch Studierende?

Palomino ist der Ansicht, dass die Lehren, die ihre Studierenden aus dem
Lockdown gezogen haben, für immer in ihrer Praxis festgeschrieben sein
werden. „Die Studierenden werden eine Kombination aus traditioneller
Handwerkskunst und neuen Technologien verwenden, um unglaubliche
Kollektionen herzustellen“, sagt sie. „Sie werden alte und vergessene
Techniken mit wiederverwendeten und recycelten Materialien von zu Hause
kombinieren und so eine Wechselwirkung zwischen Handwerkskunst und
Innovation bei Techniken und Materialien schaffen.“

Wird Covid-19 die Modeausbildung weniger international gestalten?

Während diese regionale Handwerkskunst gefeiert werden soll, wird der
Internationalismus, der integraler Bestandteil der modernen Modeausbildung
ist, sicherlich darunter leiden. Palomino hat ein beachtliches
Lehrportfolio aufgebaut, nachdem sie ihr Fachwissen mit Studierenden an
Institutionen wie Polimoda in Florenz, der Königlich Dänischen Akademie der
Schönen Künste, der Isländischen Akademie der Künste, der
Shenkar-Universität und Bunka Gakuen geteilt hat. Ob Experten überhaupt
noch gebeten werden, Vorträge zu halten oder zu Workshops eingeflogen
werden, ist eine der unzähligen Unsicherheiten, die sich aus der Pandemie
ergeben. Eine andere ist die Frage, wie die globale Pandemie den Zustrom
internationaler Studierender an Schulen bremsen könnte, die auf ihre
höheren Studiengebühren angewiesen sind.

In den letzten zehn Jahren haben die konkurrenzfähigsten US-Modeschulen
in NYC, Paris, Florenz und Hongkong Möglichkeiten zum Auswärtsstudium als
Krönung in ihrem Bildungsangebot präsentiert. Viele dieser Außenstellen
sind im Herbst geschlossen. Eltern, die zögern, ihre Kinder in
Modehauptstädte zu schicken, die auch Pandemie-Epizentren sind, sind noch
weniger geneigt, ein Fernstudiensemester mit dem NYC-Campus zu finanzieren,
während dessen ihr Kind zu Hause wohnt und weder von Industriepraktika
profitiert noch die kulturellen und Networking-Gelegenheiten wahrnehmen
kann, für die die Stadt bekannt ist. Studierende, die mit der Möglichkeit
eines Online-Herbstsemesters konfrontiert sind, ersuchen um einen
Studiengebührennachlass, um den Mangel der Möglichkeiten auszugleichen.
Währenddessen müssen die Schulen die entgangenen Einnahmen aus dem
Frühjahrssemester schlucken und führen Budgetkürzungen, Entlassungen und
weniger Neueinstellungen durch.

Modeschule Digital: Nachhaltiger Wandel des Systems durch Studierende?

Selbst in einer Welt vor dem Coronavirus waren die Anmeldungen für eine
Hochschulausbildung stetig zurückgegangen, die Studiengebühren explodierten
und die Stimmen, die ein vierjähriges Studium als einzigen Weg zum
beruflichen Erfolg in Frage stellten, wurden immer lauter. Covid-19 wird
einen weitreichenden Einfluss auf das wankelmütige Bildungssystem haben.
Die Lehrkräfte, die an vorderster Front stehen, und die Aufgabe haben, die
Visionäre von morgen zu formen, haben unweigerlich einige eigene Gedanken
dazu.

Modenschauen sind ein Dinosaurier

Simon Ungless, Geschäftsführender Direktor der Modeschule an der
Kunstakademie in San Francisco

Während pädagogische Veränderungen traditionell nur langsam stattfinden
können, sagt Ungless: „Covid 19 hat uns in der Diskussion über
Veränderungen angestoßen, wir können uns nicht länger den Luxus leisten,
uns über veraltete Systeme zu beschweren, ohne etwas dagegen zu
unternehmen“. Sein Radar ist auf die Abschlusskollektion und die Modenschau
gerichtet: „Das hat nichts mit der Realität der Modeindustrie und den Jobs
zu tun, die es tatsächlich gibt“, sagt er. „Warum machen wir das alle? Wen
interessiert das wirklich? Modenschauen sind ein Dinosaurier.”

Auswirkungen der Pandemie auf Modenschauen für Hochschulabsolventen

Abschlussmodeschauen haben im letzten Jahrzehnten für Schlagzeilen
gesorgt. Aber Ungless glaubt, dass nun die Zeit für einen stärker
Studierenden- und industrieorientierten Ansatz gekommen ist, bei dem es
weniger darum geht, das Profil des akademischen Establishments zu schärfen.
Wir haben uns daran gewöhnt, zu sehen, wie die Arbeit junger Designer
unsere Social Media Feeds um diese Jahreszeit überschwemmt, nachdem ein
Star einer solchen Schau die Aufmerksamkeit einer Publikation gewonnen hat
– im letzten Jahr wählte das Rampenlicht Fredrik Tjærandsen.

Aber wenn die Aufmerksamkeit zurückgeht, müssen diese jungen Kreativen
immer noch zu ihren kleinen Wohnungen zurückkehren und einen Karriereweg
für sich selbst finden, obwohl sie von prominenten Stylisten und Fotografen
umworben werden. Ungless sagt: „Wir schauen uns an, was die Schülerinnen
und Schüler auf der Grundlage ihrer individuellen Ziele in Bezug auf ihre
Fähigkeiten für einen Abschluss und eine Anstellung benötigen, und arbeiten
dann rückwärts, um einen Lehrplan zu erstellen, der dem dient. Die
Anerkennung der Tatsache, dass alle Studierenden unterschiedlich sind, ist
von größter Bedeutung, und Ungless ist der Ansicht, dass nicht alle Talente
durch die gleiche standardmäßige Modenschau präsentiert werden können: „Es
gibt so viele Möglichkeiten, Fähigkeiten und Design-Ästhetik zu
präsentieren, und diese Krise hat uns die Gelegenheit gegeben,
herauszufinden, was das wirklich bedeutet.“

Fox ist genauso pragmatisch, was die Notwendigkeit von Veränderungen in
unserer Industrie betrifft. „Die neue Generation sieht vieles in einem
anderen Licht und kann mit kreativem Denken auf die Krise reagieren“, sagt
sie. Aber eine Änderung, die sie nicht mitmachen wird, ist ein ständiges
virtuelles Klassenzimmer. Sie schaudert bei der Vorstellung, mit einem
neuen Jahrgang ankommender Studierenden das Schuljahr via Internet zu
beginnen. „Was den Fernunterricht betrifft, so funktioniert dieses Programm
meiner Meinung nach nicht“, sagt sie, „ich sehe es als eine kurzfristige
Lösung, mit der wir uns befassen mussten, aber wir haben auch fast zwei
Jahre lang eng mit unseren graduierten Studierenden zusammengearbeitet, so
dass wir ihre Persönlichkeiten kennen und wissen, was wir von ihnen
erwarten können; was wir tun können, um die beste Arbeit von ihnen zu
bekommen“. Wie Ungless gibt sie einem Modeprogramm den Vorzug, das die
gesamte Branche widerspiegelt und das typischerweise von der Zusammenarbeit
lebt, etwas, das ein Merkmal ihres MFA-Programms ist. Fotografen,
Art-Direktoren, Parfümeure, Choreografen, Unternehmensberater, Filmemacher
– sie alle kommen auf dem Lehrplan zusammen, um die Gesamtheit der Vision
der Studierenden zu fördern.

Modeschule Digital: Nachhaltiger Wandel des Systems durch Studierende?

Was die Schülerinnen und Schüler während der Quarantäne verlieren, im
Vergleich zum Normalbetrieb, ist vielleicht eine Debatte über neue
Möglichkeiten. Aber Ungless sieht Gelegenheiten: „Zu lernen, wie man in
einer Online-Umgebung arbeitet, Quellen findet und kommuniziert, ist
unglaublich wichtig, da immer mehr Unternehmen und Arbeitsplätze diesen Weg
einschlagen“, sagt er.

Bestimmt werden die diesjährigen Absolventen all diese neu erlernten
Dinge nutzen müssen, um sich auf dem schwierigen Arbeitsmarkt
zurechtzufinden, der in einer Welt nach der Pandemie unweigerlich auf sie
wartet. Doch zunächst einmal bleibt noch die Frage der MFA Design &
Society-Kohorte von Fox, deren Kollektionen auf Eis gelegt wurden. Die
MFA-Kollektionen wurden jedes Jahr im September während der New Yorker
Fashion Week gezeigt, und ob dies dieses Jahr geschieht oder nicht, ist
noch eine weitere Unbekannte. Dennoch wird sich Fox, die sowohl in New York
als auch in LA mit Fabriken und der Industrie in Kontakt steht, auf alle
Eventualitäten vorbereiten. Sie ist überzeugt, dass ihre Studierenden dies
ebenfalls tun werden. „Ich denke, es wird Studierende geben, die sich mit
dieser Situation auseinandersetzen und sich Gedanken machen werden, wie
diese Industrie nach ihren Vorstellungen aussehen soll“, sagt sie, „und
dann werden sie herausfinden, welche Rolle sie dabei spielen könnten, zu
den notwendigen Veränderungen beizutragen.”

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie
Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches
‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen
Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

In Teil 1 dieser Serie geht es um die Herausforderungen des
Fernunterrichts an Modeschulen Hier klicken >>

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Fotos: Shelley Fox, Simon Ungless und Elisa Palomino. Arbeiten der
Studierenden: Amanda Colares Silva, Christie Lau, und Theerapon Ekster
Angsupanich.

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