Nach der schweren Finanzkrise vor knapp zehn Jahren verzeichnete Europa zuletzt einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung. Damit ist es erst einmal vorbei. Die Frage ist nun: Wie lang wird die Schwächephase dauern?
Nach Jahren soliden Wachstums steuert Europas Wirtschaft nach Einschätzung der EU-Kommission auf eine Schwächeperiode zu. Die Behörde korrigierte ihre Wachstumsprognose für die 19 Staaten des gemeinsamen Währungsgebiets erneut nach unten. Es könnten schwierigere Zeiten anbrechen, sagte EU-Finanzkommissar Valdis Dombrovskis am Donnerstag in Brüssel.
Für das laufende Jahr erwartet die EU-Kommission in der Eurozone im laufenden Jahr nun einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,1 Prozent, 2020 ein Wachstum von 1,2 Prozent. Im Sommer war sie noch von 1,2 beziehungsweise 1,4 Prozent ausgegangen. Für die gesamte EU rechnet sie für 2019 und für 2020 mit einem Wachstum von 1,4 Prozent. Hier hatte sie im Sommer noch 1,6 erwartet. Davor hatte sie teilweise noch optimistischere Annahmen.
«Bislang hat sich die europäische Wirtschaft trotz ungünstigerer weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen als robust erwiesen», sagte Dombrovskis. Die Binnennachfrage sei nach wie vor kräftig. «Doch könnten nun schwierigere Zeiten anbrechen, das heißt eine Phase, die durch große handelskonfliktbedingte Unsicherheit, durch zunehmende geopolitische Spannungen, durch eine anhaltende Schwäche des verarbeitenden Gewerbes und durch den Brexit gekennzeichnet ist.»
Die USA und China liefern sich seit mehr als einem Jahr einen Handelskrieg, der in beiden Ländern zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums geführt hat und die Weltkonjunktur bremst. Beide Seiten haben einander schrittweise mit immer neuen Strafzöllen überzogen, während parallel Gespräche über ein Handelsabkommen laufen.
Dies belastet vor allem die exportabhängige deutsche Wirtschaft. Die EU-Kommission schloss sich weitgehend der Sichtweise der «Wirtschaftsweisen» – der Top-Berater der Bundesregierung – an, die für dieses Jahr hierzulande ein BIP-Wachstum von 0,5 Prozent und von 0,9 Prozent im kommenden Jahr erwarten. Die Brüsseler Behörde erwartet nun 2019 0,4 Prozent und 2020 1,0 Prozent. Der Anstieg 2020 liegt in erster Linie daran, dass es mehr Arbeitstage gibt (Kalendereffekt).
Das stärkste Wachstum in der Eurozone erwartet die EU-Kommission im laufenden Jahr nun in Irland (5,6 Prozent), am schlechtesten schneidet Italien ab (0,1 Prozent).
Trotz des schwächelnden Wachstums gibt es aus Sicht der EU-Kommission aber noch eine Reihe positiver Anzeichen. Der Arbeitsmarkt werde erstaunlich wenig beeinträchtigt, hieß es. Das liege daran, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung erst nach einiger Zeit auf die Beschäftigung auswirke, aber auch daran, dass der Dienstleistungsbereich immer stärker werde. Die Arbeitslosigkeit in der EU sei so niedrig wie seit rund 20 Jahren nicht mehr, in diesem Jahr solle sie bei 6,3 Prozent liegen, 2020 dann gar bei 6,2 Prozent. In der Eurozone soll sie sich etwas darüber einpendeln (2019: 7,6 Prozent, 2020: 7,4 Prozent).
Bei der Inflation sieht die EU-Kommission hingegen keine positive Trendwende. Unter anderem wegen sinkender Energiepreise werde die Teuerungsrate im Euroraum in diesem und im kommenden Jahr bei 1,2 Prozent liegen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht eine Inflationsrate von knapp 2,0 Prozent als erstrebenswert an. Der Wert gilt als Garant für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung. Sind Preise dauerhaft niedrig oder sinken gar auf breiter Front, könnten Unternehmen und Verbraucher verleitet werden, Investitionen aufzuschieben. Dies kann dann das Wirtschaftswachstum bremsen.
«Ich rufe alle EU-Mitgliedstaaten mit hohem öffentlichen Schuldenstand dringend dazu auf, die vorsichtige Finanzpolitik fortzusetzen und die Schuldenstände kontinuierlich abzubauen», sagte Dombrovskis. Demgegenüber sollten Mitgliedstaaten mit haushaltspolitischem Spielraum diesen auch nutzen.»
Vergleichsweise hohe Schuldenquoten – das ist das Verhältnis der Gesamtverschuldung zur Wirtschaftskraft – weisen unter anderem Griechenland und Italien auf. Von Deutschland forderte die EU-Kommission hingegen in der Vergangenheit wiederholt mehr Investitionen. (dpa)